Prostitution

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Kirsten

59, Weiblich

Beiträge: 54

Prostitution

von Kirsten am 17.05.2009 12:03

Absolut ein passendes Thema für diese Rubrik. Weder Sexarbeiterinnen noch Kunden derselben sprechen "darüber".

So musste vor vielen Jahren der "Hurenkongress" umbenannt werden in "Fachtagung Prostitution", weil sich kaum noch aktive SexarbeiterInnen anmeldeten und der "Hurenkongress" fast ausschließlich von Fachberatungsstellen besetzt wurde.

So fand also vom 13-15.Mai 2009 die "40. Fachtagung Prostitution" in Dortmund statt. 74 TeilnehmerInnen, davon ungefähr 8 SexarbeiterInnen. (davon 4 Männer!) Das sind im Verhältnis zu den letzten Jahren viele aktive SexarbeiterInnen!

Ihr habt im Vorfeld nichts davon erfahren, denn diese Fachtagung wird ausschließlich intern beworben um Journalisten fern zu halten.

TeilnehmerInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz waren drei Tage lang damit beschäftigt, sich auszutauschen, fortzubilden und gemeinsame Beschlüsse zu fassen.

Mir wurde hier sehr klar, dass wir in Dortmund so eine Art Paradies haben. Nicht, das alles perfekt wäre, im Gegenteil, es gibt noch viel zu tun und zu verbessern... Aber was ich aus Österreich und manchen deutschen Kommunen so zu hören bekommen habe, hat mich echt umgehauen.

In Österreich müssen SexarbeiterInnen einmal wöchentlich zu einer gynäkologischen Zwangsuntersuchung beim Gesundheitsamt.

Die Sperrgebietsverordnung in Wien ist völlig undurchsichtig. So darf man nur zu unterschiedlichen Zeitfenstern in bestimmten Straßenabschnitten stehen, Wohnungsprostitution ist komplett verboten. Frauen, die außerhalb der Zeitfenster oder am falschen Straßenabschnitt stehen, müssen 300,-€ Strafe zahlen. Es gibt Frauen, die rein sprachlich diese Regeln nicht verstehen und deshalb mittlerweile mit über 10000,-€ "verschuldet" sind. Die dürfen diese Geldstrafen im Gefängnis absitzen.

In Rheinland-Pfalz gibt es eine Beratungsstelle für Prostituierte. Dort arbeite EINE Sozialarbeiterin mit einem Stundenkontingent von 21 Wochenstunden. Demnächst bekommt sie sogar ein Büro.

In einer Stadt in NRW gibt es weit außerhalb einen legalen Straßenstrich, der nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Dort arbeiten 2 Prostituierte. Der nicht legale Strich in Stadtnähe wird allerdings stark frequentiert, überwiegend von drogengebrauchenden Frauen. Es gibt eine Beratungsstelle mit Wohnmobil dort. Die Polizei wartet in der Nähe und fängt die Frauen vor den Beratungsmobil ab um eine Ordnungsstrafe auszusprechen. Immerhin hat die Frau ja durch den Besuch der Beratungsmobiles angezeigt, dass sie sich im Sperrgebiet prostituiert. Sehr praktische Kooperation.... Die um Hilfe gebetenen Kommunalpolitiker wollen vielleicht was tun... nach der Wahl....

Es gibt in deutschen Städten ganze Straßenzüge, auf denen die Prostitution komplett durch organisierte Kriminelle bestimmt wird. Frauen zahlen Standgeld an diese Gruppen, manche Frauen werden nicht geduldet, Polizei hält sich raus. Alle finden das "normal".

Es gibt eine Stadt, da wurden die MitarbeiterInnen der Beratungsstelle auf dem Strich von der Kommune aufgefordert, eine Statistik darüber zu führen, wie viele Anbahnungsgespräche sie beobachten und wie viele Gäste die einzelnen Prostituierten bedienen.

In einer deutschen Großstadt wird jede Frau auf dem Strich abkassiert: Von Finanzamtsmitarbeitern: 25,-€ Pauschalsteuer UND 15,-€ Vergnügungssteuer täglich. Aber sie sind keine Unmenschen: Es gibt einen kontrollierten "Extra-Strich" ausschließlich für drogenabhängige Frauen. (Das wird tatsächlich überprüft, wobei nur intravenöser Heroinkonsum "gilt"... die Idee, auch zu überprüfen ob es sich wirklich um "Frauen" und nicht etwa um "Transfaruen" handelt haben sie aufgegeben, aber der Geschlechtseintrag im Ausweis muss weiblich sein!). Dort , auf dem "Drogenstrich" werden keine Steuern kassiert und es gibt Kondome umsonst.

Das sind nur ein paar der Geschichten, die mich umgehauen haben.

Eine "AG Straßenstrich" hat sich auf der Fachtagung gegründet und wir werden dran bleiben. Wir erstellen ein Konzeptgerüst ("Fragenkatalog") für Straßensozialarbeit auf dem Strich, mit dem wir zunächst den "Ist-Zustand" verschiedener Stadte beschreiben. Daraus entwickeln wir dann Mindest-Standards. Daraus wird sich ein Forderungspapier entwickeln.

Straßenprostituirte sind sozusagen das letzte Glied in der Kette der SexarbeiterInnen. Ungeschützt im wahrsten Sinne des Wortes: Vor dem Wetter, vor kriminellen Erpressern, vor gewaltbereiten Freiern, vor den Augen der Öffentlichkeit, vor dem Zugriff der Ordnungshüter.... Da gibt es was zu tun. Packen wirs an.

Das war nur eins von vielen Themen der diesjährigen Fachtagung.

Kirsten

Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
Die wuchert nämlich schon beim Hingucken, aber was glaubt Ihr, wie die wuchert, wenn Ihr wegguckt
(Hermann Prignitzer)

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knuddel1003

75, Männlich

Beiträge: 1

Re: Prostitution

von knuddel1003 am 19.06.2009 20:38

Der Beruf der Prostituierten ist einer der ältesten Berufe überhaupt. Es ist einfach, sich über den Straßenstrich öffentlich zu empören, und heimlich die rote Lampe an der Ausfallstraße zu suchen. Es ist auch einfach, die Prostitution als "Sündenpfuhl" zu verdammen, und dabei zu vergessen, dass Jesus es war, der die Ehebrecherin (Prostituierte?) in Schutz nahm indem er sagte, wer ohne Schuld ist werfe den ersten Stein! Es ist auch einfach, wenn die Kirchen von den Kanzeln herab gegen die Prostituierten wettern, es aber ein offenes Geheimnis war, dass sich Fürstbischöfe Häuser für ihre Konkubinen auf ihrem Schlossgelände bauen ließen.
Sexualität dient zunächst einmal der Fortpflanzung. Sexualität ist aber auch etwas Wunderschönes in der Beziehung zweier Menschen, was diese Beziehung mit Leben erfüllt. Sexualität ist aber auch ein Bedürfnis, das nach Erfüllung strebt - und Sexualität ist auch ein "Wirtschaftsgut", das nicht nur bei den Menschen gehandelt wird. Wenn ein Bonomo-Männchen etwas hat, was einem Weibchen ins Auge sticht, wird es sich dem Männchen anbieten und bekommt so das Objekt seiner Begierde.
Zur medizinischen Zwangsuntersuchung: Wir sind heute alle vom AIDS-Virus bedroht, und niemand, der Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern hat, kann garantieren, nicht selbst infiziert worden zu sein. Deshalb ist meines Erachtens eine regelmäßige Untersuchung in kurzen Abständen notwendig. Dies soll keine Diskriminierung der SexarbeiterInnen sein, sondern nur ihrem eigenen und dem Schutz ihrer Freier dienen. Eine Alternative wäre (nicht ernst gemeint), dass jeder Freier eine Unbedenklichkeitsbescheinigung des Gesundheitsamts vorlegt, die nicht älter ist als 48 Stunden....
Man sollte diesem Berufsstand, anstatt ihn zu diskriminieren, einen Platz im öffentlichen Leben einräumen, moralische Vorurteile durch Gespräche, Aufklärung abbauen. Natürlich muss Rücksicht genommen werden auf das moralische Empfinden gewisser Teile der Bevölkerung, aber wenn die Kommunen dem Straßenstrich Bereiche zuweisen, wo keine Kinder gefährdet sind, wo sich der Passant nicht belästigt fühlt durch erotische Anblicke, wo anderseits den SexarbeiterInnen ein gewisses Maß an Sicherheit geboten werden kann und sie nicht von Polizei und Finanzbehörden bedrängt werden, könnte sich ein notwendiges Maß an Konsens einstellen.

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Prignitzer43
Administrator

80, Männlich

Beiträge: 35

Re: Prostitution

von Prignitzer43 am 20.06.2009 03:35

Na das ist ja ein herzerfrischender Beitrag! Alles in Kürze abgedeckt, was die Sexualität angeht. - Bist Du immer so kurz und knapp, Ulrich? Ist bewundernswert. Kann ich nicht, kann mich nicht so kurzfassen; bin einer mit der prosaisch langen Leitung. (Dein Beitrag, Ulrich, klingt, als wäre es der eines Naturwissenschaftlers oder Mediziners.)

Ja, ja, die Sexualität... Also Natur, uns den Trieb eingepflanzt, will ja nicht mehr, als dass wir die Art erhalten. aber das ist ja in aller Regel schnell geleistet. Nachkommen "zu produzieren", dazu braucht's ja nicht viel Trieb. Also da könnte die Libido uns ja mit... sagen wir mal: 35... verebben, wenn wir bis dahin nicht allzu schlafmützig waren. Und bis 35, wer ist da schon diesbezüglich schlafmützig? - Also 35 geworden, und wir hätten's geleistet. Mehr will Natur nicht. Aber wir wollen mehr, und wenn möglich, bis dass der Tod uns wegrafft. Wir haben, weil die Natur aus lauter Vorsicht uns reichlich mit dem Fortpflanzungstrieb bedacht hat, noch mächtig viel Trieb übrig. Und damit beginnen die Probleme. Wobei ich jetzt nur von Männern reden möchte; Frauen müssen sich da schon selbst zu Wort melden.

Also die Probleme der Männer.... Tja, wie ist das? Dieser und jener findet genug im häuslichen Zweierbett Dieser und jener findet da zwar nicht genug, aber den Rest besorgt er sich selbst. Dieser und jener findet noch was relativ kostengünstig neben dem häuslichen Zweierbett; der hat noch 'ne Sekretärin oder sonst 'ne Kollegin, die nicht abgeneigt ist...
Und die so was alles nicht oder nicht ausreichend genug haben? Na dann kann man diesen Männern nur wünschen, dass sie Geld haben. Und wenn sie Geld haben, dann kann man diesen Männern nur wünschen, dass die Prostitution hoffentlich, hoffentlich nicht irgendwelchen Prüderien zum Opfer fällt. Aber eigentlich ist sie den Prüderien (oder der sogenannten "bürgerlichen" Wohlanständigkeit) schon lange zum Opfer gefallen. Denn anstatt, dass Sexarbeiterinnen (und Sexarbeiter!!!) ihre Dienste auf der Stadt Marktplatz anbieten dürfen, und da gehört es hin, sind solche Dienstleistungen in jeder Stadt Grauzonen zu finden, weil dorthin sind sie abgedrängt worden. Und was Grauzonen gebären... na ja, "der Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einen, wenn man hinunterschaut" (Büchner). Also ist alles möglich: Ausbeutung wie Gesundheitsgefährdendes. Was es auch auf dem Marktplatz geben würde, aber längst nicht in dem Maße wie in der Schmuddelecke, auf dem Hinterhof einer Gemeinde.

Tja, aber um die Prostituion auf dem Marktplatz zu gestatten, müssten wir wohl allesamt zunächst unser Verhältnis zur Sexualität überdenken. 1. müssten wir uns eingestehen, das Sexualität zu den Grundbedürfnissen gehört wie Essen und Trinken, und auch so darüber gesprochen werden muss. Und wie Essen und Trinken ist auch Sex keine "Ferkelei", irgendwas, was man verbergen muss. Und 2. sollten wir zumindest darüber nachdenken, ob sexuelle Ausschließlichkeit (gemeinhin 'Treue' genannt) naturgegeben ist. In der Realität sieht's jedenfalls nicht danach aus.

Danke, Ulrich, für Deinen Beitrag!

Antworten Zuletzt bearbeitet am 20.06.2009 03:41.

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