DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit dieser Ge

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Esther
Gelöschter Benutzer

DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit dieser Ge

von Esther am 12.03.2009 21:03

Die dritte Tür zum Osten

Der Karst trägt Rot. Überwiegend brennendes Rot, unterbrochen nur von vereinzelten gelbgrünen Nuancen im versteckten Buschwerk am Boden, das der Sonne den direkten Zugriff verwehrt. Auf den Wegen, die hoch über den Steilklippen am Meer entlang führen, wandeln Menschen sonnentraumtrunken, lassen ihr Auge im Azur der Tiefe versinken. Vielleicht bringt ja die Natur ein letztes Mal in diesem Jahr eine solch sinnliche Hingabe an den Herbst hervor.

Henry nimmt den Fußweg von Monte Grisa über die durch Karstwald und Felsen geschlagene Via Napoletana nach Triest. Er will noch nach den Booten sehen in der Stadt der Winde. Triest hat aufgerüstet, der Hafen liegt voller Segelyachten am Tag vor dem großen Spektakel. Morgen heißt es „Barcolana“ im Golf von Triest. Alljährlich findet hier zur Zeit des Karstleuchtens die größte Segelregatta des Mittelmeeres statt. Seit ein paar Jahren ist der Besuch von Triest zur Zeit der Barcolana für Henry zum Ritual geworden. In seinem Gedächtnis verankert sind die Dreiecke. Er schaut hinunter aufs Meer. Das dunkel schattierte Blau des Wassers flirrt um die Wette mit dem helleren, weißlich durchflossenen Blau des Himmels. Henry bleibt stehen, schließt die Augen. Das Bild vergangener Regatten steht auf hinter seiner Stirn. Da sind sie wieder - die Formationen der weissen Segel, die im Blaugrün des Wassers einen für das Auge trügerischen Umkehrschluss bilden, da sie den Himmel zwischen den aus dem Wasser ragenden Segeln ebenfalls als Dreiecke erscheinen lassen. Da ist sie wieder – die Bucht vor Miramare, beladen mit flimmernden Triangolos, ineinandergeschnitten, ineinander verzahnt - Weiss in Blau, Blau in Weiss. So war es die Jahre vorher, so wird es auch morgen sein. Henry lächelt, öffnet die Augen, schaut auf den blauen Spiegel tief unten, aus dem die bizarren Felswände wachsen. Verführerisch, denkt er. Verführerisch, was das Unterbewusstsein ins Gedächtnis schreibt. Was es immer wieder hervorzaubert, wenn man bereit ist, es zu empfangen.

In Opicina steigt Henry in die alte Trambahn, die sich auf einem schmalen Geleise fast wie ein Vogel im Sturzflug nach unten fallen lässt – über zerklüftete macchiabewachsene Hänge bis hinein in die sich zum Meer hin weit öffnende Stadt Triest. Die weißen Zelte der Barcolana-Aussteller schmiegen sich wie eine zweireihige Perlenschnur um das Oval des Hafenbeckens. Henry lässt sich mit den vielen Schaulustigen am Rand entlang treiben, dreht einmal den Kopf zu den vielfältigen Präsentationen in den Zelten, dann wieder zum Meer, wo die Yachten abgetakelt eng nebeneinander liegen und auf ihr morgiges Segelglück warten. Männerträume … Henry denkt es fast sehnsüchtig. Die Stimmung ist rundum freudig, leicht aufgeheizt, voller Erwartung des Wettkampfes auf den Wellen. Henry freut sich, als er im Hafenbecken die Controluce liegen sieht, den einmastigen Sloop-Segler seiner beiden Unterkunftgeber Enzo und Luca. Welch schöner Name, denkt Henry. Controluce – Gegenlicht. Enzo hatte ihm schon beim Frühstück ans Herz gelegt, dieses Schiff, dem seine ganze maritime Leidenschaft gehört, im Hafen anzuschauen. Enzo und Luca bieten Zimmer mit Frühstück für Individualisten. Einen Hang zum Individualismus setzt allein schon die spektakuläre Lage ihres leuchtturmartigen Hauses voraus, an die Felsküste gelehnt wie ein Adlerhorst, von der Küstenstraße nicht einsehbar, dem Meer entgegengebäumt wie ein statisches Segel.

Henry fühlt sich angezogen von dunklen Augen voller Feuer. Sie gehören zu einer Frau der Güteklasse I, wie er für sich registriert. Er erwidert ihren Blick, legt Sehnsucht in sein Lächeln, lässt seine Augen zum Spalt zwischen ihren tief dekolletierten Brüsten wandern, schaut sich dort fest. Sie lächelt mit halb geöffnetem Mund, lässt ihre Zungenspitze zwischen den Zähnen hervorblitzen. Ein Mann tritt hinter sie, legt den Arm um ihre Schultern. Sie lächelt noch, als sie mit ihm entschwindet.
Henry träumt von weicher Haut, von Schenkeln, die sich um seine Lenden legen.
In der Trattoria von Nando labt er sich am köstlichen Meeresgetier, trinkt dazu den strohgelben Weisswein des Hauses, fügt sich ein in die warmen wohltuenden Gerüche als ein Teil der hier zelebrierten Lebensfreude. Aus dem Gespräch am Nebentisch vernimmt er die Sorge um eine mögliche morgige Flaute, die Hoffnung auf Wind.

Er fährt mit dem Bus zurück in die Nähe seines Domizils. Dunkelheit hat sich über die Küstenstraße und übers Meer gebreitet. Das magische Leuchten des Karstes fand Unterschlupf unter nächtlichen Schatten. Der schmale Weg zum mehrstöckigen Haus im Steilhang ist spärlich erhellt, Macchiazweige streifen an Henrys Körper. Das Entrée liegt im Halbdunkel. Eine Lampe in der Form eines Fisches weist Henry den Weg zu seinem Zimmer. Als er sich endlich in die nach frisch gemähtem Gras duftenden Laken schmiegt, tanzen hinter seinen geschlossenen Augen wellentrunkene Triangolos in Weiss und Blau, schaukeln mit Brüsten und Schenkeln aus Alabaster um die Wette.

Das Schaukeln formiert sich Stunden später zu einem sanften, aber unnachgiebigen Läuten. Sanft genug, um Henry nicht rigoros aus dem Schlaf zu reißen, fordernd genug, um ihn nicht mehr entgleiten zu lassen ins Refugium der Träume. Schiffsglocke – legt sich als Erkennen der Geräuschquelle in sein Gehirn. Schiffsglocke? Henry öffnet die Augen. Dunkelheit umgibt ihn, erst allmählich nimmt er in dem diffusen Nachthimmellicht, das durch die unverhüllten Scheiben dringt, die gegenständlichen Konturen des Zimmers wahr. Er hebt den Kopf an, folgt damit dem Läuten, das rhythmisch hochschwingt und dann wieder fast verstummt – Laute, wie vom Wind übers Meer getragen. Na klar – Henry lächelt, als er am Rahmen der Zimmertür das Windspiel wahrnimmt, das ihn schon beim ersten Eintreten faszinierte. Die Töne werden tatsächlich von einer alten Schiffsglocke erzeugt, die an einem dicken Tau hängt und den Mittelpunkt zwischen weiteren schwingenden Tauen bildet. Doch woher kommt der Wind im geschlossenen Raum? Henrys Sinne erwachen, versuchen, die Realität zu erfassen. Er hält den Atem an, als sich in sein Sehen einfügt, dass die Tür zum Vorraum, die genau gegenüber seinem Bett liegt, weit offen steht.

Langsam richtet er seinen Oberkörper auf, zieht das Kissen hinter seinen Kopf, lehnt sich hinein. Einige Meter nach dem Türrahmen seines Zimmers tut sich ein weiterer Durchlass in der gegenüberliegenden Wand des Entrèe-Raumes auf. Henry erinnert sich, dass die dahinter liegenden Gemächer von Enzo und Luca tagsüber durch eine Schiebetür aus dickem, grünlichem Glas abgeschirmt waren. Diese Tür steht nun offen wie seine Zimmertür, leitet seinen Blick weiter nach vorne, erschließt ihm nach dem Wohnraum der Gastgeber eine dritte geöffnete Tür, die in einen der Meerseite zugewandten, fast rundum verglasten Raum führt. Die frühen Sequenzen des Ostlichts, des Lichts der aufgehenden Sonne, schicken mutige Silberblitze zur Fensterfront. Dort bricht sich das Blitzen, wandelt sich um in erhellendes Strahlen, legt sich als warme graugoldene Tageslichtspur in das Innere des Raumes.

Henry registriert die Architektur des Hauses. Er registriert Türen, die in einer vollkommen parallelen Ausrichtung einen Raum mit dem anderen verbinden. Er registriert, dass er sich selber im hintersten, im an den Felsen gelehnten, im macchiaumwuchertsten und daher im dunkelsten Raum dieser Etage befindet.
Er registriert, dass der direkt vor dem Meer gelegene Raum, der Raum nach der dritten Tür, am meisten Licht bekommt. Er registriert, dass sich dort zwei Menschen lieben. Auf einem Bett, das sich genau in die Parallele der Türen einfügt. Vor einem Spiegel, der aus der Rückenlehne des Bettes als Schräge in die Höhe wächst, am Plafond weiterläuft und dort die Länge des Bettes dualisiert. Eingemeißelt in eine rundum laufende Glasfront. Mitten im Meer, das mit dem Erwachen des Tages durch das Glas schimmert, seine noch verdunkelten Farben bricht und singt und rauscht und Schiffsglocken läutet.

Das Geschehen im Osten des Hauses akzentuiert sich vor und hinter Henrys Augen.
Sein Blick springt zwischen den Männern am Bett und ihrem durch die Schräglage des Spiegels etwas nach oben versetztem, vergrößert zurückgeworfenem Abbild hin und her. Er kann die Konturen ihrer Körper fühlen, die Erregung in ihren Gesichtern, die Lust an der Darbietung ihrer Körperlichkeit. Der seitlich und an der Decke mit mehreren Spots bestückte Spiegel, dessen Glas offenbar einen vergrößernden Effekt hervorruft, liefert Henry eine plastische Detailansicht. Enzo zeigt sich mit aufgerichtetem Oberkörper, die knieenden Beine leicht gegrätscht, den Phallus groß und mächtig in die Höhe strebend. Luca lässt sich nun seitlich auf das Bett sinken, hascht Enzos Penis mit seinem weit geöffneten Mund, umschließt ihn, nimmt in ganz auf, gleitet an ihm langsam vor und zurück, wühlt sein Gesicht zwischendurch selig in Enzos Schamhaar. Dann knieen sie sich gegenüber auf dem seidig schimmernden Laken. Das nahende Morgenlicht spielt nun auf ihren einander zugewandten Gesichtern, legt vor Henrys Augen die übergroße Zärtlichkeit und Innigkeit zweier sich Liebender offen. Sie umfassen sich mit den Armen, Luca lässt seinen Kopf an Enzos Schulter gleiten, schließt die Augen. Ihre Lippen streben zueinander, öffnen sich, machen Platz für das Tasten der Zungen, für das Schmecken der Willigkeit, für das Ineinander-Verweilen. Enzos Zunge fährt über Lucas Gesicht, sorgfältig die Ausbuchtungen der Mundwinkel erspürend, die Kerben der Wangen streichelnd, die Augen umrundend. Luca bäumt sich auf, haucht Küsse auf Enzos Hals, beißt sich zart in seiner Brust fest.
Seine rechte Hand liegt fest in Enzos linker Gesäßbacke verankert, mit zwei Fingern streichelt er Enzos Anus, öffnet den Eingang, tastet sich weiter nach innen.
Der Wind trägt aus Erregung geborene Laute, die Schreie von Möwen gleichen, an Henrys Gehör.

Sein Atem geht flach. Regungslos, wie in körperlicher Lähmung, verharrt er in seiner halb sitzenden Position. Sein Geschlecht hat sich verselbständigt, ragt als solitäre Körperlichkeit aus seinem Leib empor, stößt an die dünne Bettdecke.

Enzo fasst Luca nun an den Schultern, dreht ihn sanft, aber bestimmt um seine eigene Achse. Luca lässt sich fallen, stützt die Arme auf das Bett, rollt sich zusammen wie ein Blatt. Enzo kniet hinter ihm, fasst nun mit beiden Händen Lucas Gesäß, hebt es hoch. Die Position der beiden ist zu einer dreiviertel-Umdrehung dem Spiegel zugewandt. Die Ausrichtung der Spots lässt die Körper der Männer fast in hellem Licht erstrahlen, ihr Bild wird vom Spiegel überdimensioniert zurückgeworfen. Henry kann nun Lucas leicht geöffnete dunkle Rosette zwischen den nach oben gewölbten Pobacken erkennen. Enzo lässt einen Finger in die willig dargebotenene Öffnung gleiten, bewegt ihn darin begehrend, fordernd.
Das Windspiel an Henrys Tür scheint Lucas Stöhnen zu begleiten. Henry schiebt die Decke von seinem Körper, umschließt seinen Penis mit der rechten Hand, erkundet mit dem linken Mittelfinger seinen Anus.
Als ihm der Spiegel Enzos geschlechtliches Eindringen in Luca zeigt, als Lucas Schrei mit der Schiffsglocke hochschwingt, beginnt Henry sich zu lieben - hart und unnachgiebig, in überbordender Erregung.
Henrys Ejakulation wird von einem ihm bisher verwehrten, die Lust auf ihren Zenit treibenden Schmerz gepeitscht. Sein Erlösungsschrei klingt durch die Räume nach vorne, durchdringt das Glas des Spiegels und der Scheiben, bohrt sich mitten hinein in die aufgehende östliche Sonne.

Nach Minuten der Ermattung öffnet er seine Augen, erkennt ganz draußen vor dem Meer im Morgenlicht zwei einander zugewandte, ineinander verschlungene Körper. Sein Blick wandert höher, nimmt in der Verdeutlichung des Spiegelglases die Seligkeit auf den Gesichtern wahr. Hingebungsvolle Liebe, auf die Gesichter gezeichnet, mitgenommen in den Schlaf.
Henrys Lider gleiten wieder nach unten. Er lächelt mit halb geöffnetem Mund, wird im Hinübersinken Teil dieser Seligkeit.

Er erwacht, als der Duft von aromatischem Kaffee seine Nase kitzelt. Nach ein paar Sekunden des Sich-Findens fährt er hoch, starrt zur Tür. Sie ist geschlossen. Das Windspiel regt sich nicht. Henry bleibt einige Minuten so im Bett sitzen, die Bilder der Nacht und des Morgens kommen auf ihn zu. Er schließt die Augen. Die Bilder bleiben. Dann springt er aus dem Bett, duscht, packt seinen Rucksack.
Als er aus dem Zimmer tritt, kommt ihm Luca entgegen. Lucas helle strahlende Augen blinken fast etwas spitzbübisch, als er ihm kundtut, dass das Frühstück auf der Terrasse warte an diesem schönen Tag.

Das Meer liegt wie ein ruhiger Spiegel vor Henrys Augen. Ein Spiegel, der alles aufnimmt und einfügt in seine Unendlichkeit. Ein Spiegel, der dich irgendwann ganz unvermittelt wieder überfällt, um dir übermächtig von Neuem das in ihm gespeicherte Geschehen vorzuführen, denkt Henry.

Später im Entrée begleicht er bei Enzo die Rechnung. Enzo sitzt vor einem alten geschnitzten Schreibtisch, seine feingliedrigen Finger huschen über das Papier, streifen für einen Herzschlag lang Henrys Hand, als er ihm die Quittung zusteckt. Enzo blickt kurz auf. In seinen Augen liegt ein Lächeln.

Beide Männer bleiben unter der Haustür stehen, blicken Henry nach.
Bevor Henry am verschlungenen Weg entschwindet, dreht er sich um. Sie finden sich ein letztes Mal in ihren Blicken, noch einmal geschieht Verstehen, öffnet verbindendes Fühlen alle Türen. Henry überkommt ein Gefühl von Zärtlichkeit.

Er fährt nach Miramare, wandert ein Stück nach oben, von wo er die Bucht gut überblicken kann. Das Säuseln in den Blättern der Büsche schwingt sich hin und wieder zu einem leichten Rauschen auf. Wind! Henry lacht glücklich hinunter zu den weißen Segeln, kneift die Augen zu, reißt sie wieder auf. Er fühlt sich als Triangolo, in Himmel und Meer geschnitten, wissend und ohne zu zagen in die Unendlichkeit gleitend. Der Wind fährt durch die Segel, lässt sie übers Meer fliegen.

Henry verlässt Miramare noch vor dem Ende der Regatta. An der Küstenstrasse steigt er in den Bus nach Duino. Vom imposanten Schloss auf dem mächtigen Felsen wandert er den Rilke-Weg entlang nach Sistiana. Er geht langsam, weicht oft vom Weg ab, steigt über das graue Karstgestein einige Meter hinaus zu den steilen Klippen, klettert bis zum äußersten Rand der Felsnadeln, verinnerlicht die atemberaubenden Ausblicke. Dann schließt er die Augen und lässt die Bilder kommen. Die Bilder der Dreiecke und die Bilder einer sich dem Morgen öffnenden Nacht. Er fühlt sich befreit und ohne Angst.
Noch einmal atmet Henry den Karst in seinem glühenden Herbsttaumel, bevor er in Sistiana den Zug betritt, der ihn nach Hause bringt.

Linda empfängt ihn lächelnd wie immer. Es war einfach schön, sagt Henry, wandert mit seiner Hand ihren Rücken entlang. Er nimmt sie noch vor dem Essen. Ungeduldig, verlangend, hart. Immer wieder dreht er sie herum, bringt sie in die Position, die er gerade von ihr haben will. Er hechelt, lechzt, gewahrt Lindas verunsicherten Blick.
Ich liebe dich, sagt Henry.

Später findet Henry auf dem Computer eine mail seines Freundes Raoul, der ihn die letzten Jahre zur Barcolana begleitet hatte. Raoul musste dieses Mal arbeiten, nun ist er neugierig, bittet Henry um Berichterstattung. Als er diese erhält, wundert er sich über Henrys sybillinisch anmutende Worte:
Was soll ich dir Neues erzählen? Kennst es ja – Männerträume in Weiß und Blau.
Man muss nur geschehen lassen, was passiert. Man muss bereit sein, es aufzunehmen. Und dann muss man ganz einfach warten. Verstehen kann man nur, wenn man ganz still ist. Doch Eines kann ich dir sagen: Was sich einmal in dein Gedächtnis verzahnt hat, lässt dich nie mehr los.


Esther Hebein
Februar 2009

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Bettina

64, Weiblich

Beiträge: 23

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von Bettina am 15.03.2009 16:55

Eine Geschichte, auf deren besondere Atmosphäre ich mich erst ganz in Ruhe einlassen musste, um ihr folgen zu können. Was mich dann an dieser Geschichte berührte, überraschte mich selbst. Es war nicht die Tür, die dem Henry in der Erzählung im direkten wie übertragenen Sinne geöffnet wurde. Dessen Schlüsselerlebnis mag ein schöner, auch ein wesentlicher Aspket der Geschichte sein, beschäftigt hat mich aber sehr bald etwas anderes: Einen zentralen Raum nimmt ja die Beschreibung der Sexualität zwischen Enzo und Luca ein. Hier ist alles harmonisch, ganz selbstverständlich, ein schönes, gleichberechtigtes Geben und Nehmen. Geradezu beunruhigend liest sich für mich dann die Passage fast am Ende der Erzählung, in der Henry wieder zu Hause ist und eine sexuelle Begegnung mit seiner Partnerin beschrieben wird. Es sind nur wenige Sätze, aber hier, zwischen Mann und Frau, ist alles ganz anders als zwischen Mann und Mann. Hier ist plötzlich alles ganz ungleichgewichtig.
Der Zusammenhang zwischen Sexualität und Macht, das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, sollte die Leserin auf diese Fährte gebracht werden oder ist sie hier auf einen Nebenweg geraten? Das fragt mit einem Augenzwinkern und mit herzlichem Gruß Bettina.

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Esther
Gelöschter Benutzer

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von Esther am 15.03.2009 22:55

Liebe Bettina,

ich kann von mir Geschriebenes nur schlecht erklären. Ich habe die Idee, manchmal viele Sentenzen einer Geschichte im Kopf, beginne zu schreiben und lebe dann während des Schreibens die Geschichte - oft in mehreren Protagonisten.

Was deine Frage betrifft, hatte ich nicht im Sinn, ein Machtverhältnis zwischen Mann und Frau zu beleuchten. Meine Intention war, dass dieses ganz ungewöhnliche Empfinden von Sexualität, in das Henry zum ersten Mal eintauchte, in ihm noch nicht abgeebbt war. Dass in ihm das Verlangen nach seiner Frau so hart und fordernd emporstieg, da er immer noch durcheinandergerüttelt war in seinen Gefühlen, dass er zu diesem Zeitpunkt genauso einen Mann hätte lieben können. Und dass ihm bei allem doch bewusst war, er liebt seine Frau - was er ihr ja auch sagt.
Ja und den Rest teilt er seinem Freund dann mit. "Was sich einmal in dich verzahnt hat, lässt dich nie mehr los."

Ich wollte mit der Geschichte sagen, dass es jedem heterosexuellen Menschen passieren kann, eine andere, gleichgeschlechtliche Dimension zu entdecken. Und ich persönlich glaube auch, dass die Facetten eines sexuellen Empfindens gegenüber dem eigenen Geschlecht in jedem Menschen vorhanden sind. Nur dürfte es sehr unterschiedlich sein, inwieweit sich ein Mensch dessen überhaupt bewusst wird, ob sich ihm jemals eine Gelegenheit mit einem passenden Pendant bietet und vor allem, ob er sich solche Gedanken und solches Tun selber erlaubt.

Liebe Grüße,
Esther

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SigridEbert

71, Weiblich

Beiträge: 24

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von SigridEbert am 16.03.2009 14:10

Liebe Bettina,

ja ich kann gut verstehen, was Du meinst. Doch ich möchte Dir hier noch eine andere Möglichkeit der Sichtweise zu dem Ende der Geschichte schildern, denn ich denke, es gibt immer mehrere Standpunkte zu einem Geschehen.

Als ich das erste mal Esthers Geschichte las, musste ich zunächst einiges für mich „sortieren“, und habe dann die Geschichte noch ein Mal lesen.

Beim zweiten Durchgang fiel mir auch der von Dir geschilderte Unterschied zwischen dem Liebesakt der beiden Männer Enzo und Luca und dem zwischen Henry und seiner Frau auf. Doch ich kam zu anderen Schlussfolgerungen und bin gespannt, ob das auch eine Variante für Dich sein könnte.

Henry hatte ein erregendes, erotisches Erlebnis, hat Bilder in seinem Kopf und ist immer noch in Erregung, fühlt immer noch die entfachte Leidenschaft. Als er zu Hause ist und seiner Frau begegnet, will er diese Leidenschaft ausleben und gibt sich seiner Erregung einfach hin. Seine Frau reagiert verunsichert, weil sie ihn so nicht kennt, oder nicht mehr so kennt. Das verunsichert sie, ihr fehlt einfach der Bezugsrahmen um es zu verstehen, denn Henry hat ihr offensichtlich nichts von seinem Erlebnis erzählt.

Henry spürt jedoch ihre Verunsicherung und signalisiert ihr - es ist alles in Ordnung - indem er ihr sagt: „ich liebe Dich!“

Wenn ich das weiter spinne, würde ich sagen, dass Henry sich um eine Erfahrung beschneidet, denn wenn er es ihr erzählt hätte, würde sie mitschwingen können in seiner Leidenschaftlichkeit und beide hätten einen Zugewinn an erotischer Erregung und ekstatischer Erlösung.

Für mich ist das eine harmonische Variante.

Lieben Gruß Sigrid

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SigridEbert

71, Weiblich

Beiträge: 24

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von SigridEbert am 16.03.2009 14:15

Liebe Esther,

ich sehe, dass Du Bettina geantwortet hast, gerade als ich Bettinas Antwort geschrieben hatte,
die ich nun nicht mehr ändern wollte.

Doch beim Lesen Deiner Antwort fällt mir auf, dass wir das Geschehen der Liebenden ähnlich empfinden.

Also doch Herzensschwestern ;-)

Alles Liebe

Sigrid




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Esther
Gelöschter Benutzer

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von Esther am 16.03.2009 17:59

Ja, liebe Sigrid - du hast genau beschrieben, was meine Intention dieser "wieder-zuhause-Szene" war. Henrys sexuelle Erregung überträgt sich auf das Verhalten gegenüber seiner Frau, er "macht sich Luft", befreit sich.

Was mich ein wenig erstaunt, ist die Tatsache, dass Frauen genau diese Szene einzuordnen versuchen, die im Prinzip nur ein Mosaikstein der ganzen Geschichte ist. Die große Linie geht ja eigentlich ganz woanders hin - dorthin, wo die Möglichkeiten der Sexualität verborgen ruhen. Und zu dem Erkennen einer bisher rein heterosexuell erfahrenen Person, dass gleichgeschlechtliche Liebe nichts "Abartiges" ist, dass ihr Zelebrieren beim Beobachter enorme erotische Potenz erzeugt, keine Abwendung oder gar Abscheu. Dass es eben auch zwischen gleichgeschlechtlichen Personen Liebe und Leidenschaft ist, die Körper und Geist gleichermaßen vereinnahmt. Wenn Jemand sehen kann (Henry) bzw. lesen kann (LeserInnen) muss er Enzo und Luca so verstehen.

Ach ja - und ich habe hier keine Mann/Frau-Geschichte geschrieben. Es wäre falsch, sie darauf hinpolen zu wollen. Deshalb wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass Henry das Erlebte mit seiner Frau bespricht. Das ist seine ganz eigene Erfahrung und dieser muss er erstmal Platz einräumen in seinem Inneren.

Liebe Grüße,
Esther

Antworten Zuletzt bearbeitet am 16.03.2009 18:07.

Bettina

64, Weiblich

Beiträge: 23

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von Bettina am 17.03.2009 19:35

Liebe Esther,
in meinem Kommentar vom 15.3. habe ich lediglich angemerkt, worauf ich beim Lesen dieser Geschichte gekommen bin. Den zentralen Aspekt: Protagonist der Erzählung begreift, Sexualität kann vielfältiger sein als von ihm bisher erkannt und gelebt, wollte ich nicht in Frage stellen. Das bedarf auch nun wirklich nicht noch einer Extra-Erklärung, liegt ja deutlich auf der Hand.
In diesem Punkt sind wir uns übrigens völlig einig, Esther, auch ich bin überzeugt davon, dass wir alle ambivalente Züge in uns haben. Was davon zum Tragen kommt, hängt von vielen Einflüssen ab. Von Natur aus sind wir bestimmt nicht so eingleisig auf das andere Geschlecht fixiert, wie viele glauben.
Und was nun die Erzählung betrifft, habe ich einfach versucht, Deinen Henry so genau unter die Lupe zu nehmen, wie es anhand Deiner Beschreibung möglich ist. Was ist das für ein Mensch? Er hat ja schließlich nicht nur sein Aha-Erlebnis, sondern kommt irgendwo her und geht irgendwo hin. Zwei Mal in der Geschichte beschreibst Du diesen Henry in Bezug auf eine Frau. Am Anfang steht diese Flirt-Geschichte (aus der ich etwas über diesen Mann ableite), am Ende sein Umgang mit seiner eigenen Frau (woraus ich natürlich auch etwas ableite). Es ist erstaunlich, dass ich genau diese Szene einzuordnen versuche, sagst Du? Sie sei "nur ein Mosaiksteinchen der ganzen Geschichte"? Von jedem Mosaiksteinchen erwarte ich eine Bedeutung für die Geschichte als Ganzes. Und irgendwo "hinpolen" will ich sie schon gar nicht, ich halte mich an das, was in den Zeilen steht.

Liebe Sigrid,
danke für Deine "harmonische Variante". Da hast Du schon genau erspürt, was mir Bauchschmerzen bereitet.
Aber es ist Esthers Geschichte, die sie eben so erzählt hat, wie sie sie erzählt hat. An Änderungsvorschläge hatte ich nicht gedacht. Dieser Henry wäre in Deiner Variante ein anderer Mensch, ein mir eher zugänglicher Mensch. Da aber Esther sich missverstanden fühlt, wenn ich mich mit ihrem Protagonisten in Bezug auf das andere Geschlecht auseinandersetze, halte ich es für besser, das hier nicht weiter zu diskutieren.
Ich glaube auch, das wäre ein grundsätzlicheres Thema (was erwarten wir von einer Partnerschaft; wie steht es um die Ehrlichkeit gegenüber Partner oder Partnerin; sollten wir vielleicht die Begriffe Sexualität und Liebe nicht einfach gleichsetzen u.s.w.). Hier fällt mir so manches ein, was aber nicht unter diese Geschichte, sondern in ein Extra-Thema gehörte.
Vielleicht kommen wir ja da mal hin, könnte interessant werden.
Herzliche Grüße, Bettina.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 18.03.2009 17:04.

Esther
Gelöschter Benutzer

Re: DIE DRITTE TÜR ZUM OSTEN - Ich bewege mich mit meinen Gedanken und Geschichten gerne an den Rändern der breiten Straßen. Mit diese

von Esther am 18.03.2009 10:48

Liebe Bettina,

ja, ok - ich halte mich da künftig auch heraus aus der Diskussion. Es sei denn, es stellt mir Jemand eine ganz konkrete Frage. Es ist ja nur recht und billig, dass Jeder seine ganz eigene Sichtweise zu Geschehnissen oder Erzählungen hat und im Prinzip ist das ja der Sinn eines literarischen Produktes, die Gedanken anzuregen, egal, in welche Richtung. Ich habe erstmal nur geanwortet auf deine Frage und hatte dann eben Eindruck, ich solle noch ein wenig erklärend einsteigen. Und dabei hat mich eben ein wenig irritiert, dass dieser angesprochenen Szene eine irgendwie negative Mann/Frau-Bedeutung angehaftet wurde, eine fehlende Harmonie. Für mich war sie eine logische Schlussfolgerung nach Henrys Erlebtem. Und - meine letzte Anmerkung: Muss es denn immer so überaus harmonisch zugehen beim Sex, damit er gut sein kann? Ich als Henrys Frau hätte es wahrscheinlich durchaus genossen, wenn er mir so begehrend und kraftvoll und auch mal dominierend entgegenkommt - ich hätte nicht gefragt, weshalb. Aber so verschieden sind eben die Sichtweisen (selbst unter Frauen) und so sollen sie auch bleiben!

In diesem Sinne grüße ich ganz herzlich,
Esther

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