Geschichten vom Strich

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Kirsten

59, Weiblich

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Der erste Übergriff in 22 Jahren

von Kirsten am 06.05.2009 09:53

Gedächtnisprotokoll, 29.04.09, 23:15 Uhr
Kirsten C

Heute Abend gegen 20:45 ging ich mit meiner Kollegin Sabine R und der Praktikantin Frau B sowie der Studentin Frau D(Hospitantin) vom Beratungscontainer auf der Ravensbergerstraße aus in Richtung Juliusstraße/Bornstraße unsere allabendliche Streetwork-Runde. (Ravensbergerstraße, Juliusstraße, Tankstelle, Bornstraße, Mindener Straße, Ravensbergerstraße)
Als wir von der Bornstraße auf die Mindener Straße einbogen, fiel uns von weitem ein Radfahrer auf dem Fußweg auf, der eine uns bekannte Klientin zielgerichtet auf dem Bürgersteig anrempelte und ihr im Vorbeifahren auf den Rücken schlug. Die Klientin schimpfte ihm nach. Zu diesem Zeitpunkt war mir persönlich noch nicht klar, ob es sich vielleicht nur um eine „kumpelhafte“ Rempelei handelte oder um einer ernste Sache. Wir waren zu weit entfernt um zu verstehen, was gesprochen wurde.
Der Radfahrer trug ein kariertes Hemd und eine dunkle Hose und war ca. 60 Jahre alt.
Da er breit grinsend sehr rasant auf dem Bürgersteig nah an uns vorbeifuhr, rief ihm meine Kollegin Frau R allerdings noch nach „Aber sonst geht’s, ja?“
Als wir auf der Höhe der Klientin waren, erzählte uns diese aufgebracht, dass dieser Mann sie schon öfter geschlagen habe und bereits mehrfach heimlich Fotos von ihr und anderen Frauen gemacht habe.
Wir drehten uns um und beobachteten, wie der Radfahrer wendete und einer anderen Frau, die am äußersten Rand des Fußweges auf einer Mauer (Fiat Berke Parkplatz) saß, ebenfalls zielgerichtet an die angewinkelten Beine fuhr, kurz ins Trudeln kam und dann weiter in unsere Richtung fuhr.
Ich fragte die bei uns stehende Klientin, ob dieser Mann auch heute schon Fotos gemacht hätte, was sie bejahte. Ich fragte noch einmal nach: „Hat der also jetzt gerade eine Kamera dabei?“ Auch das bejahte die Klientin.
Meine Kollegin Frau R und ich sprachen uns kurz ab, diesen Herrn anzuhalten und auf sein Verhalten anzusprechen.
Wir standen zu viert auf dem Fußweg, nebeneinander und versperrten sozusagen den Fußweg für den Radfahrer, der mit unverminderter Geschwindigkeit auf uns zu kam.
Ich hob eine Hand und rief laut und deutlich: „Stadt Dortmund, halten sie bitte an, wir möchten mit Ihnen (sprechen)“ (Ich sage in solchen Situationen „Stadt Dortmund“ statt „Beratungsstelle Kober“ weil das auf die Schnelle eher ernst genommen und verstanden wird und wir ja im Auftrag der Stadt Dortmund dort unterwegs sind.)
Ich kam allerdings mit dem Satz nicht zu Ende, denn er fuhr mit unvermindertem Tempo mit dem Vorderreifen gegen mein linkes Schienbein. Derart unvermittel ausgebremst kam der Herr von mir aus gesehen nach links auf dem Fußweg zu Fall. Er kippte sozusagen langsam um, wobei ich den Sturz abmilderte, indem ich ihn versuchte, ihn an seinem linken Oberarm festzuhalten. Ich schaffte es allerdings nicht, den Sturz ganz zu verhindern. Er fiel also langsam samt Fahrrad auf seine rechte Seite. Sein Kopf berührte den Boden dabei nicht.
Ich bin mir sicher, dass er erwartet hatte, dass eine von uns erschrocken zur Seite ausweicht, aber das wäre kaum möglich gewesen, da wir zu viert nebeneinander standen und nur nach vorne oder hinten ausweichen hätten können. Die Situation wirkte auf mich, als wolle er sein Fahrrad als „Waffe“ einsetzen.
Er stand sofort selbstständig auf, richtete sein Fahrrad auf und ich fragte als erstes, ob er verletzt sei. Er sagte „ja“, wirkte auf mich aber unverletzt. Ich fragte ob er einen Krankenwagen bräuchte. Daraufhin antwortete er, er wolle die Polizei rufen. Ich sagte, dass ich das für eine sehr gute Idee halte und rief die 110 an. Ich meldete mich mit „Beratungsstelle KOBER“ und schilderte kurz (und etwas aufgeregt) den Vorfall. Auf die Frage, was der Radfahrer jetzt macht, antwortete ich: „Der schimpft hier gerade mit den Frauen rum, schicken sie bitte einen Wagen vorbei“
Während dessen entwickelte sich hinter mir ein Handgemenge und lautstarker Streit. Mehrere Frauen warfen ihm vor, er habe heimlich Fotos von Ihnen gemacht und würde sie häufig mit dem Fahrrad anfahren und schlagen. Da ich zum Telefonieren etwas abseits gestanden habe, habe ich in dem Moment keine Details beobachtet. Ich hörte, dass der Mann behauptete, er habe eine Gehirnerschütterung.
Ich ging wieder zu dem Radfahrer und meinen Kolleginnen und sagte Bescheid, dass die Polizei unterwegs sei. Daraufhin sagte er, er würde jetzt abhauen und wollte zu seinem Fahrrad um wegzufahren.
Das Folgende weiß ich wegen der Aufregung nicht in allen Einzelheiten. Ich weiß, dass ich den Herrn daran hindern wollte, zu seinem Fahrrad zu gehen, in dem ich mich zwischen ihn und sein Fahrrad stellte. Immer wieder kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen dem Mann und den umstehenden Frauen. Ich selbst wurde nicht angegriffen. Meine Kollegin Frau R versuchte die Frauen zurückzuhalten, die immer wieder wutentbrannt auf den Mann schimpften, der seinerseits mit den Fäusten um sich schlug und nach den Frauen trat. Ich hielt den Mann am rechten Oberarm fest und stand rechts von ihm. Die Praktikantin Frau B stand vor ihm, um sich zwischen ihn und die Frauen zu stellen und weitere Angriffe zu verhindern. Irgendwann sah ich direkt vor meinem Gesicht, dass der Mann beide Fäuste fest in die Haare der Praktikantin gekrallt hatte. Ich konnte nichts tun. Ich wollte nicht an seinem Arm reißen, denn dann hätte er nur die Haare ausgerissen. Ich versuchte mehrfach, umstehende Männer dazu zu bewegen, uns zu helfen. Zunächst allerdings erfolglos. Zwar hielten Autos an mit heruntergekurbelten Fenstern, auch zwei Mopedfahrer standen mitten auf der Straße um zuzusehen, aber trotz direkter Ansprache der einzelnen Umstehenden war keiner dazu zu bewegen, uns zu helfen.
Ich rief meiner Kollegin Frau R zu, sie solle noch mal die 110 anrufen und sagen, dass der Mann gewalttätig wird und wir dringend Hilfe brauchen. Aus dem Augenwinkel sah ich dann meine Kollegin telefonieren.
Irgendwann kam jedoch ein kräftiger Mann dazu und stellte sich vor den Radfahrer, der daraufhin etwas ruhiger wurde. Ich bat den Helfer, den Mann nur daran zu hindern, wegzulaufen, bis die Polizei kommt.
Zwischenzeitlich muss es dazu gekommen sein, dass er die Fäuste von den Haaren löste und die Praktikantin gebissen hat. Das habe ich nicht gesehen, da ich meine Aufmerksamkeit Hilfe suchend auf die umstehenden Passanten gerichtet hatte.
Kurz darauf trafen zwei Kripobeamte vom KK12 ein. Ich konnte den Mann loslassen und mich um Frau B kümmern. Ich sah ein ausgerissenes Haarbüschel auf ihrer Schulter. Sie sagte mir „Der Typ hat mich gebissen!“ versuchte, mir die Bisswunde am Unterarm zu zeigen, aber ihre Lederjacke lies sich gar nicht auf Anhieb so hoch schieben. Erst, als sie die Jacke ausgezogen hatte, konnte ich die Bisswunde sehen. Wie es zu dem Biss gekommen war, habe ich selbst wegen der ganzen Aufregung und des Trubels nicht direkt mitbekommen.
Einige Minuten später traf auch der gerufene Streifenwagen ein, da hatten die Beamten vom KK12 dem Mann aber bereits Handschellen angelegt, weil er auch Ihnen gegenüber versucht hatte handgreiflich zu werden.
Wir gaben unsere Personalien an, baten die umstehenden Frauen, weiter zu gehen und gingen zum Container. Meine Kollegin Frau R ist gelernte Krankenschwester und versorgte dort die Bisswunde provisorisch und wir fuhren in die Beratungsstelle. Anschließend brachte ich zusammen mit meinem Mann, der mich immer von der Arbeit abholt, die Praktikantin Frau B in die Ambulanz des Johannes Krankenhauses. Dort waren wir ca. um 22:30 Uhr. Es wurde schon bei der Aufnahme festgehalten, dass sie eine Bisswunde am linken Unterarm hat und ihr auch büschelweise Haare ausgerissen wurden.

Ich habe eine sehr leichte Abschürfung am linken Schienbein von dem Fahrradreifen, die keine weitere Behandlung benötigt und mehrere abgebrochene Fingernägel, durch meine Versuche, den Mann fest zu halten.

Am Rande habe ich noch Folgendes mitbekommen, kann es aber chronologisch nicht genau einordnen:

Der Radfahrer behauptete, Frau B hätte seine Brille kaputt gemacht. Eine andere Frau hatte aber seine Brille in der Hand und gab sie einem der Kripobeamten, der sie sich ansah. Sie wirkte unversehrt.

Weiterhin äußerste er, er sei Staatsanwalt. Kurz darauf behauptete er, er sei Physiker.

Er sagte einem der Polizisten von der Nordwache, er habe zwar mal Fotos auf dem Strich gemacht, den Film hätte er aber zuhause gelöscht.

Er behauptete gegenüber den uniformierten Polizisten, sie hätten ihn gerettet, denn die beiden anderen Kripobeamten hätten ihn angegriffen.

Die spät eingetroffenen Polizisten von der Nordwache fragten bei ihrem Eintreffen die Beamten vom KK12 in sehr abfälligem Tonfall: „Wollt ihr die alle hier haben“ und wiesen auf die umstehenden Frauen und uns. Die Beratungsstelle KOBER war zumindest einem der Polizisten völlig unbekannt. Insgesamt entstand der Eindruck bei mir, dass die Herren von der Wache Nord die Situation nicht ernst nahmen und den Frauen gegenüber sehr abschätzend und negativ wertend eingestellt waren. An weiteren konkreten Äußerungen kann ich persönlich das aber nicht festmachen.


Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
Die wuchert nämlich schon beim Hingucken, aber was glaubt Ihr, wie die wuchert, wenn Ihr wegguckt
(Hermann Prignitzer)

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Hans

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Re: Geschichten vom Strich

von Hans am 15.04.2009 23:43

Kompliment!:-)

Kann ich gleich erweitern: Hab gestern den Beitrag bei Frau-TV gesehen. Du und Kolleginnen, ihr habt das aktuelle Problem eindringlich und gut nachvollziehbar dargestellt. Hast mir prima gefallen, hättest dich beim Interview gar nicht selbst festhalten müssen :-)))

Antworten Zuletzt bearbeitet am 17.04.2009 10:50.

Kirsten

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 14.04.2009 20:55

Jau....

Dem Sozialdezernenten hab ich das Fernsehteam auf den Hals geschickt. Da hat er in die Kamera erzählt, dass er ganz schnell was tun will... Die Journalistin will in 6 Wochen wieder kommen.

Einer meiner Kommentare wird als Leserbrief abgedruckt.

Und es wurde eine "Sicherheitskonferenz" in Dortmund ins Leben gerufen, (Politik, Polizei, Soziale Träger) um die Thematik anzugehen. Die erste Sitzung war mehr eine Bestandsaufnahme, aber mal sehen, wie es weitergeht....

Landesministerium hat einen Antrag von mir... der verstaubt da....

Eine private Stiftung anzupumpen, ist eigentlich nicht mein Ding...aber es kann ein Faktor von Vielen werden. Ich werde die Politik nicht außen vor lassen. Die müssen jetzt ran. Osterferien sind vorbei ;)

Lieben Gruß

Kirsten



Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
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Hans

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Re: Geschichten vom Strich

von Hans am 14.04.2009 19:00

Hab die Kommentare gelesen. Wenige, darunter natürlich deine, gehen tiefer auf das Problem ein, wie immer. Für mich ist es eine klassische politische Aufgabe. Die Dimension ist zwar eigentlich europäisch, und u.a. deshalb wird die Aufgabe und insbesondere die Finanzierung von Lösungsansätzen vermutlich zwischen den politischen Ebenen hin und her geschoben, kann ich mir jedenfalls gut vorstellen.

Ich würde es politisch angehen, mir also die/den zuständige/n Europa-, Bundestags-, Landtags-Abgeordnete/n sowie Bürgermeister/in und Amtsleiter/in bzw. Dezernent/in ranholen, die machen sowieso demnächst alle Wahlkampf und sind ansprechbar. Auch die Polizeiführung ist mit Sicherheit interessiert. Als Forum würde ich eine Stadtteilkonferenz anpeilen.

Dein Projektentwurf könnte auf diesem Weg an Gewicht gewinnen und eher durchsetzbar sein. Ziel wäre für mich eine Art Projektgruppe, die die verschiedenen politischen Ebenen verzahnt.

Ich weiß, Politik ist ein mühsames Geschäft.

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Kirsten

59, Weiblich

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 09.04.2009 20:36

Hallöchen :)

Ich hab grad was gefunden: Klick!*

Wenn Ihr da runterscrollt, findet ihr viele viele Kommentare "ordentlicher Durchschnittsbürger" meiner Heimatstadt. Viele mussten von der Moderation gelöscht werden, aber man bekommt auch so einen guten Eindruck.
Okay, es geht nicht in erster Linie um "unsere Frauen", sondern um die gesamte Bevölkerungsgruppe der bulgarischen Roma in unserer Stadt, aber es wird doch deutlich, wie der "Durchschnittsbürger" reagiert.

Ich werde einen Projektentwurf entwickeln und an eine Stiftung schicken, die sich wohl unter anderem für die Integration von Roma und Sinti einsetzt. Wir wollen Integration versuchen: Sprachkurse, Alphabetisierungskurse, Informationen über Recht, Gesundheit, sicheres Arbeiten, speziell für Frauen aus den neuen EU-Ländern in der Prostitution. Das wird ungefähr der 5te Antrag dieser Art, den ich in diesem Jahr schreibe.... bisher alles erfolglos...
Nach Ostern leg ich los... die Hoffnung stirbt zuletzt....

Lieben Gruß

Kirsten

PS) Am Donnerstag, 16.04 ab 22 uhr im WDR: "Frau-TV" ... ich hab ein bisschen Schiß davor, denn ich habe im Interview "unprofessionell" drauf los gequasselt, weil ich die Journalistin gut kenne und beim Schnitt ein Wörtchen mitzureden habe... Dummerweise hat eine andere, fremde Kollegin vom WDR den Beitrag übernommen und die hat natürlich geschnitten, ohne mich zu fragen... Ist nicht sooo schlimm, nur der Bischhof sollte den Beitrag besser nicht gucken ;) Ich bin mal gespannt....

Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
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Antworten Zuletzt bearbeitet am 09.04.2009 20:47.

Kirsten

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 09.04.2009 10:19

Hallöchen :)

Ich habe Euch mal ein paar Bilder hochgeladen, damit Ihr Euch ein "Bild" machen könnt, wenn ich immer von unserem Container schreibe...
Galerie Straßenstrich

Lieben Gruß

Kirsten

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Hans

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Re: Geschichten vom Strich

von Hans am 08.04.2009 12:26

Uff. Will dir nur sagen, dass ich jede Zeile lese und fühle.

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Kirsten

59, Weiblich

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 30.03.2009 20:41

Silke war wieder da. Silke aus dem Ausstiegsprogramm. Ich hab schon mal von Silke erzählt. Silkes Freund sitzt wegen Zuhälterei und Vergewaltigung einer Minderjährigen. Die Vergewaltigung war eine Gruppentat von 4 Männern. Die Prozesse der Mittäter sind in den nächsten Tagen.
Silke kommt immer 15 Minuten zu früh zum Gesprächstermin. Heute hat sie ihren kleinen Hund dabei. Die Frauen wissen genau, dass ich Hunde mit ins Büro lasse, obwohl das ungern gesehen wird.
"Neee, mir gehts nicht so gut, Kirsten...gar nicht. Weisste, heute morgen war der Prozess von dem Kumpel von Meinem. Und ich war da, weil ich dachte, ich kann Meinen wenigstens mal sehen, der war ja eigentlich Zeuge und der nächste Besuchstermin ist erst Ostern. Und weisste was? Der Idiot hat alles gestanden! Deshalb musste meiner gar nicht aussagen. Da war ich ganz umsonst da. Hab ihn nicht mal gesehen. Ich hätt ihn so gern gesehen. Klar, wir hätten eh nicht reden können, aber ich hätt ihn wenigstens mal gesehen, weisste?"
Der Hund springt auf Silkes Schoß und leckt sanft die Tränen von ihrer Wange. Sie lächelt und streichelt den Hund.
"Weisste, wenn ich den nicht hätte, den Kleinen hier.... der merkt immer, wenn ich traurig bin. Dann macht er immer so Sachen bis ich Lachen muss (Silke lacht)... das macht der immer so. Ich hab ja auch keinen mehr. Gar keinen. Nur der Hund, der ist immer da."

Silkes kleiner Hund darf immer in mein Büro. Immer.


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Kirsten

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 21.03.2009 12:12

Tiefdunkle Nacht, ich dreh mit einer Praktikantin mal noch ne Runde draußen und wir gehen auch die Sicherheitsboxen mal ab, um nach dem Rechten zu sehen. Eine laue Sommernacht, fast alle Boxen sind belegt. Natürlich sind wir diskret, schauen nur kurz aus dem Augenwinkel, ob uns etwas Ungewöhnliches auffällt. Wir sind leise, lassen die Taschenlampe aus, um niemanden zu stören. Da steht doch tatsächlich ein hutzeliges Kerlchen in einer Box, glotzt durch ein Loch in der Holzwand in die Nachbarbox und holt sich grade lustig einen runter. Solche Spanner sind ganz schlecht. Die Freier mögen das nicht, haben Angst, heimlich gefilmt zu werden, erpresst zu werden ect. Wenn die Freier die Boxen meiden, wird es gefährlich für die frauen, denn die Alternative zu den Boxen ist das Industriegebiet, weitläufig, dunkel und sehr einsam. Also mögen wir keine Spanner. Sie schaden dem Strich und damit den Frauen.
Taschenlampe an, mitten ins Gesicht vom Hutzelmännchen, Handy wählbereit in der anderen Hand, verwandle ich mich in eine uneinnehmbare Festung: Psycho-Kirsten, die Rächerin der gestörten Huren! Feste, laute Stimme dröhnt aus meinem zarten Munde:
"Guten Abend, junger Mann. Schröder mein Name, Stadt Dortmund. Darf ich mal fragen, was sie da gerade tun?"
"Wer? Ich?" fragt er zurück und fummelt sein Ding wieder in die Hose.
"Ja, sie. Ihre Papiere bitte!"
"Wer, ich?"
"Drücke ich mich sehr undeutlich aus? Ich möchte jetzt ihren Personalausweise sehen. Jetzt sofort!" (Die Praktikantin in meinem Rücken kichert leise. Ich hoffe, dass Hutzelmännchen das nicht hört)
"ich habe nichts gemacht, nur Pipi... " Sehr kleines Piepsstimmchen und er gibt mir tatsächlich seinen Personalausweis. Ab jetzt fühle ich mich sicher. Jetzt wird er mir nichts mehr tun. Ich stecke seinen Ausweis in meine Tasche.
"Aha, nur Pipi? Wo denn? Ich sehe kein Pipi. Ich habe aber etwas anderes gesehen. Ich werde jetzt die Kollegen von der Polizei rufen, sie warten hier."
Oh jeh, mit der folgenden Reaktion habe ich nicht gerechnet.
"Polizei? Neeeiiin, biiiiieeeette biiieeette keine Polizei, ich habe nichts getan, biiiieeete, biiieeette!" Der Mann fällt tasächlich vor mir auf die Knie und Tränen laufen über sein Gesicht.
Ach du Scheiße. Was habe ich getan? Der arme Kerl hat nen Nervenzusammenbruch vor Angst und Panik.
Meine Stimmung schlägt sofort um.
"Warum machen Sie denn sowas, Mensch? Die Frauen finden das nicht lustig. Wenn Sie Sex wollen, dann gehen sie doch selbst zu einer der Frauen. Oder wollen Sie dafür kein Geld ausgeben?"
"Doch, doch, ich will ja, ich will ja... aber ich habe Angst, Angst Frau anzusprechen... ich weiß doch nicht, ich will doch nichts böses...." stottert er.

Okay, alles klar. ich drücke ihm seinen Ausweis wieder in die Hand und ein Taschentuch für die Tränen.

"Sie wollen Sex, aber trauen sich nicht, eine der Frauen anzusprechen? Deshalb spannen sie hier in der Box?"
Kleinlaut, schluchzend: "ja."
"Haben Sie denn Geld dabei?"
"Ja." (fragender Unterton)
"Okay, folgen sie mir."

Ich geh mit ihm im Schlepptau einmal quer über die Straße. Da steht Hannelore. Gelernte Friseurin, seit 40 Jahren Prostituierte mit perfekter Dauerwelle. Mutti-Typ, sehr erfahren. "Hi, Hannelore. Guck mal, dieser Freier hier. Hat Angst vor Frauen und spannt deswegen. Hab ihn grad erwischt. Er sagt, er hat Geld dabei aber traut sich nicht, ne Frau anzusprechen. Darf ich den mal bei dir hier abladen?" (Ich zwinkere ihr zu)
"na aber sischer datt.... komm ma her, Jungchen, datt kriegen wir schon hin. Biss ja ganz von Rolle, wa? War se sehr böse zu dir, die Kirsten? Die kann abba auch biestig sein, ich weiß datt. Komm her, ich bin die Hannelore. Wie heißt du denn?....."

Ich habe eine sexuelle Dienstleistung vermittelt. Dafür kann ich richtig einen dran kriegen.
Aber ist nur ne erfundene Geschichte. ;) Wenn sie wahr wäre, wäre ich ja schön blöde, sie zu veröffentlichen und meinen Job und eine Anzeige zu riskieren.

Feierabend.






Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
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(Hermann Prignitzer)

Antworten Zuletzt bearbeitet am 21.03.2009 13:18.

Kirsten

59, Weiblich

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Re: Geschichten vom Strich

von Kirsten am 21.03.2009 11:22

Schwingenden Schrittes , ein bisschen raubtierartig, kommt Heidi angeschlendert. Heidi ist irgendwas zwischen 40 und 50 und seitJ ahrzehnten als Psychotikerin diagnostiziert. Ihr Leben teilt sich in Abschnitte innerhalb und außerhalb der Psychiatrie. Jetzt ist mal wieder draußen dran und draußen ist ihr Hobby der Straßenstrich.

"Heeey! Heid! Altes Haus, welch Glanz in unserer alten Hütte!" Breites Grinsen: "Hey, Psycho, wie gehts wie stehts?"
"Alles wie immer, kennste ja, und selbst?"
"Ja, geht so, ne... die Pillen lass ich grad mal weg, die Stimmen werden zwar doller, aber egal. Kennst mich ja, komm ich mit klar" Sie zwinkert mir zu. Wir kennen uns, ja. Dieser joviale Umgangton ist der einzige, der mich Kontakt zu Heidi aufnehmen lässt. Als "Psycho" gehöre ich in Heidis Welt eigentlich in die große Gruppe der machtvollen, bösartigen Psychiater und Psychologen, aber sie gesteht mir eine besondere Rolle zu, weil ich ihre "Strich-Psycho" bin. Glück gehabt. Die anderen Kollegen werden auch schon mal mit Waffen von ihr angegriffen... Heidi trägt viel Wut mit sich herum.

"Na, will ma gucken ob ich hier heute was zu laufen kriege. hab grad schon einen echten Schnuckel gesehen, son Anzugfuzzi, weißte?" Zwinkert wieder. "Gib mal nen schnellen Kaffee, aber im Pappbecher, ich trink den draußen... nicht, dass mir der Jüngling noch verloren geht" Zwinker. Ich gebe ihr Kaffee und ein paar Kondome. "Bis später mal Psycho!" tänzelt sie wieder raus. Ich rufe ihr noch nach: "Pass auf Dich auf, Schätzchen!"

Heidi ist keine Prostituierte, Heidi will möglichst viel Sex mit möglichst vielen verschiedenen Männern in möglichst kurzer Zeit. Wenn sie ganz gut drauf ist, bezahlt sie auch schon mal den Mann anschließend. (Der dann ausgesprochen verwirrt ist, was mich immer sehr belustigt). Heidi mag ich sehr.

Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
Die wuchert nämlich schon beim Hingucken, aber was glaubt Ihr, wie die wuchert, wenn Ihr wegguckt
(Hermann Prignitzer)

Antworten Zuletzt bearbeitet am 21.03.2009 11:26.
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