Das Wahrheit-Sagen. Nur ein paar Zitate

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Bettina

64, Weiblich

Beiträge: 23

Re: Das Wahrheit-Sagen. Nur ein paar Zitate

von Bettina am 09.05.2009 16:55

Liebe Sigrid,
die Antwort des Menschen in dem von Dir geschilderten Fall gefällt mir sehr.
"Weil ich das so entschieden habe" lautet sein Satz auf die Frage, warum gibt es keine Gespräche / Unterhaltungen mehr zwischen uns. Eine so kluge Antwort spontan zu finden halte ich in der Praxis aber für schwierig.
Ich stelle mir vor, der von Dir beschriebene Mensch trifft seinen Bekannten unvermittelt auf der Straße und wird mit der Frage konfrontiert, warum meldest du dich nicht mehr bei mir (so ähnlich könnte es ja verlaufen). Und Herr X (so nenne ich den Menschen jetzt mal) wird an die fruchtlosen Debatten erinnert, die er mit seinem Bekannten früher mehrfach geführt hat, bis er sich irgendwann geschworen hat, nie wieder.
Herr X könnte auf die Frage nun sagen, ich möchte mit deiner Besserwisserei und mit deinen ewigen Versuchen, mir deine Meinung aufzudrücken, nichts mehr zu tun haben. Oder er könnte sagen, du hast mir noch nie zugehört, sondern hörst nur dich selbst gern reden. Oder er könnte sagen, meine Zeit und Kraft sind mir zu schade für Begegnungen, die zu nichts führen. Oder er könnte sagen, ich habe beschlossen, Personen zu meiden, von denen ich nur Oberflächlichkeiten zu erwarten habe.
Herr X lässt sich aber nicht zu einer solchen oder ähnlichen Antwort hinreißen, sondern er sagt lediglich, "weil ich das so entschieden habe" sehen wir uns nicht mehr. Ich glaube aber, an dieser Stelle müsste Herr X das Gespräch auch ganz schnell beenden und den Moment, den sein Bekanner noch verdutzt dasteht nutzen, um zu gehen. Denn vermutlich wäre jener mit der Antwort nicht zufrieden und würde nochmal nachhaken.
Mir gefällt die Antwort, weil Herr X die Wahrheit gesagt und trotzdem seinen Bekannten nicht verletzt hat. Das wäre mir vermutlich nur dann gelungen, wenn ich die Frage per Brief erhalten hätte und mir deshalb ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, über meine Antwort nachzudenken.
Im Allgemeinen sind wir ja eher bereit, Ausflüchte zu erfinden (jedenfalls viele von uns), als die Wahrheit zu sagen. Aber die Wahrheit zu sagen und trotzdem nicht zu verletzen halte ich für große Kunst. Lässt sich sowas lernen?

Mir fällt da noch etwas ein: Geht es mir eigentlich wirklich immer darum, meinen Gesprächspartner oder meine Gesprächspartnerin nicht zu verletzen oder bin ich einfach nur zu feige, zu sagen, was ich denke? Denn wenn ich beispielsweise sage, ich möchte die Bekanntschaft mit dir nicht pflegen, weil du mir zu oberflächlich bist und mich die Gespräche mit dir langweilen, dann muss ich ja auch damit rechnen, dafür als arrogant zu gelten oder gehasst zu werden.

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SigridEbert

71, Weiblich

Beiträge: 24

Re: Das Wahrheit-Sagen. Nur ein paar Zitate

von SigridEbert am 08.05.2009 17:52

Die Wahrheit sagen – mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

Dazu erzähle ich eine Geschichte:

Da ist ein Mensch der in die Welt geht und fleißig Kontakte knüpft, weil ihn Menschen, Sichtweisen, Meinungen und Überzeugungen interessieren. Er liebt den Austausch, das Streitgespräch und beteiligt sich gerne an Diskussionen. Besonders wenn es dann nicht an der Oberfläche bleibt, also keine Allgemeinplätze Gegenstand der Unterhaltung sind sondern auch unpopuläre Standpunkte auf den Tisch kommen. Er liebt es Neues zu lernen, sich auch mal selbst in Frage zu stellen, eigene Standpunkte zu verlassen und zu schauen was passiert.

Nun ist es ja nicht so, dass man/frau an jeder Straßenecke Menschen findet, die das ebenso sehen und auch ihre Freude an derartigen „Unterhaltungen“ haben.

Das merkt dieser Mensch schnell, denn er stellt fest, dass die meisten daran interessiert sind, ihn für ihre Meinung einzunehmen und/oder sie wollen ihn überzeugen dass sie Recht haben und er Unrecht hat. Die Haltung, dass jeder auch ein Recht auf seine Sichtweise haben und dass „beide“ Sichtweisen auch nebeneinander stehen könnten, ist nicht so weit verbreitet, merkt dieser Mensch dann bald.

Ja er wird sogar ordentlich attackiert und man spricht ihm seinen gesunden Menschenverstand ab, oder er wird einer „Gruppe“ zugeordnet, von der man ja nichts anderes erwarten kann.

Der Mensch denkt sich nun, dass ihm das zu mühsam wird immer und immer wieder die gleichen Hinweise, Denkanstöße und Ansatzpunkte zu liefern um dem Anderen von einem anderen „Blickwinkel oder Standpunkt“ aus den Gegenstand der Diskussion betrachten zu lassen. Der andere „will“ gar nicht sehen.

Er beschließt also, sich nur noch mit den Menschen zu beschäftigen, die bereit sind sich offen und auf Augenhöhe zu begegnen und die auch bei konträren Sichtweisen in einem achtungsvollen Austausch miteinander bleiben.

So weit so gut.

Doch dann kommt eines Tages einer daher und will von diesem Menschen wissen, wieso er nichts mehr von sich hören lässt und keine Unterhaltung mehr zustande kam.

Jetzt ist der Mensch erst mal sehr verwundert, und dann fragt er sich wie er nun damit umgehen will. Gar nicht so einfach. Spontan würde er jetzt die Wahrheit sagen, das tut er immer. Doch die Wahrheit würde den Anderen verletzten, befürchtet er, und dass war noch nie sein Ding.

Also – die Wahrheit sagen – aber wie?

Also wenn der Andere so fragt, denkt sich der Mensch, dann will er ja offensichtlich die Wahrheit wissen, oder nicht? Dann kann er auch nicht verletzt werden, wenn die Antwort nicht seinen Erwartungen entspricht. Doch wenn er „Erwartungen“ hat, was erwartet er?

Auch diese Überlegungen bringen den Menschen nicht weiter, und deshalb entscheidet er sich auf die Frage des Anderen ehrlich zu antworten: Es kam zu dieser „Funkstille“ weil ich das so entschieden habe.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 08.05.2009 17:53.

SigridEbert

71, Weiblich

Beiträge: 24

Re: Das Wahrheit-Sagen. Nur ein paar Zitate

von SigridEbert am 22.04.2009 23:32

Die Wahrheit-sagen – ja welche Wahrheit? Wenn ich die obigen Zitate etwas genauer untersuche, dann fällt mir vor allem eines auf - es geht offensichtlich um „meine“ Wahrheit über „andere“. Und das macht mich doch erst mal ordentlich stutzig. „Meine Wahrheit“ kann ja wohl erst mal nur eine Subjektive sein, und „die Wahrheit“ über „einen anderen“ somit auch nur eine Subjektive.

Ich halte es für völlig ausgeschlossen „die Wahrheit“ über einen anderen Menschen wirklich zu kennen. Ich kenne bestenfalls "vermeintliche" Fakten, das sind "vermeintliche" objektive Tatsachen, wobei das nichts mit „Wahrheit“ zu tun hat. Das kann jeder Jurist mit ein paar Sätzen erklären. Spätestens vor Gericht wird das sehr deutlich! Dort interessiert sich nämlich niemand für die „Wahrheit“ des Einzelnen sondern dort gilt das einzige Interesse den nackten Fakten und Tatsachen. Hieraus entwickelt sich dann im günstigen Fall eine für alle als vom Gericht gültige erklärte „Wahrheit“!

Diese Vorgehensweise im juristischen Sinne muss ja einen Sinn haben. Denn „meine Wahrheit“ kann ja auf Grund von Fakten plötzlich zu einer „Unwahrheit“ über den anderen führen. Also halte ich es für sehr sinnvoll mit „meinen Wahrheiten“ über „andere“ äußerst vorsichtig zu sein und es lieber mit „meiner Wahrheit“ über „mich“ zu versuchen.

Was heißt denn „meine Wahrheit“ über „mich“? Für mich bedeutet dass zunächst einmal beispielsweise in einem Streitgespräch mich von „Du-Botschaften“ – du hast..., du bist..., du sollst..., du musst..., etc. – zu verabschieden und dafür lieber „Ich-Botschaften“ zu verwenden, die dem anderen zeigen was bei mir von dem was er gesagt oder getan hat angekommen ist und was es mit mir macht.

Das ermöglicht dem anderen zunächst einmal zu prüfen, ob das was angekommen ist, so von ihm gemeint und gewollt war, und er hat die Möglichkeit zu erkennen, was es beim Gegenüber auslöst. So sind wir auf dem Weg die jeweilige „Wahrheit“ des anderen auszuloten. Für mich ist es hier jedoch unabdingbar ehrlich zu sein, also die „Wahrheit“ zu sagen – nämlich über „mich“! Wenn ein solches „Streitgespräch“ von beiden ehrlich geführt wird, sind beide der „Wahrheit“, ihrer eigenen und der des anderen, ein Stück näher gekommen.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.05.2009 22:56.

Prignitzer43
Administrator

80, Männlich

Beiträge: 35

Das Wahrheit-Sagen. Nur ein paar Zitate

von Prignitzer43 am 07.04.2009 11:27

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.
Ingeborg Bachmann, Schriftstellerin, 1926 - 1973

Wahrheit kann eine Keule sein, mit der man andere erschlägt.
Anatole France, Schriftsteller, 1844 - 1924

Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen.
Georg Christoph Lichtenberg, Physiker und Schriftsteller, 1742 – 1799

Die ganze Zivilisation ist abhängig davon, dass sich Menschen nicht jederzeit schonungslos die Wahrheit sagen, dass sie nicht mit trompetenhafter Ehrlichkeit kundtun, was sie von anderen halten. Der tyrannische Drang zur kompromisslosen Offenheit würde zu Zerwürfnissen führen, die sich zu einer ungeheuren Aggression aufladen. Dezenter Euphemismus und taktvolle Schmeicheleien sind Grundvoraussetzungen eines halbwegs auskömmlichen Umgangs miteinander. Franz Walter, Politikwissenschaftler, Jg. 1956

Friede wenn möglich, aber Wahrheit auf jeden Fall.
Martin Luther, Theologe, 1483 - 1546

Reden ist Silber, schweigen ist Gold.
Hinz und Kunz, Redensartler, Jg. zeitlos







Antworten Zuletzt bearbeitet am 07.04.2009 11:29.
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