Ich habs getan

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Herbstfrau
Gelöschter Benutzer

Ich habs getan

von Herbstfrau am 23.02.2009 14:47

Ich habs getan und nun tun wirs...

"Es" kam nicht plötzlich. Und es kam nicht über Nacht. Es kam, wie es eben kommen muss. Ein Jahr reiht sich ans andere, erst will man erwachsen werden, möglichst schnell. Und dann ist man es schnell geworden. Aber wohler fühlt man sich auch nicht dabei.

Der Beruf, die Familie, drei Kinder, die täglichen Pflichten, all das ließ mich nicht zum Nachdenken kommen. Eheprobleme. Angegriffene Gesundheit. Und immer dieses Gefühl, es allen recht machen zu müssen.

Erst so zwischen 40 und 50 begann ich zu grübeln. Warum diese Krankheiten? Will mein Körper mir etwas sagen?
Und wenn ja, was?
Ich begann in mich hineinzuhören. Meine innere Stimme sprach zu mir: Du hast doch noch Wünsche, Träume, bekenne dich dazu. Wann willst du an die Verwirklichung derselben gehen? Wann? Ich antwortete: Später, jetzt nicht...vielleicht, denn es sind Wünsche, die unüblich sind. Freiheit, Großstadt, allein sein, den Tag allein verbringen, die Nacht -nicht. Oder ganz anders als bisher...
Ich erschrak: Oh nein, bist du wahnsinnig? So etwas darf man doch nicht einmal denken- geschweige denn tun!

Ich habe 1000mal leise "Ich will" gesagt. Aber solange man nicht selbst felsenfest davon überzeugt ist, tut sich nichts.

Jahre vergingen. Viele Jahre. Ich bin "spät erwacht" und habs getan. Ich bin gegen den Strom geschwommen. Ich habe mich freigeschwommen. Ich habe Steine umrundet, ich bin gestolpert, und ich bin allein wieder aufgestanden. Es ist, wenn man es wagt, herrlich, sich den Wellen zu überlassen. So muss es der Möwe Jonathan zumute gewesen sein..
Doch irgendwann wollte ich auch wieder ans "Ufer" zurück.
Es war nicht einfach, und ich wusste auch nicht, ob ich bleiben würde. Nachdem ich die Wellen und die Wolken gespürt hatte.
Einmal Möwe-immer Möwe? Nein, aber ein bisschen wird immer in mir sein. Das gestehe ich mir zu.

Trotzdem-oder gerade deshalb beginne ich, beginnen wir, meine Mann und ich, noch einmal ein ganz neues Stück Leben. Wir ziehen in den Harz. Von Thüringen in den Harz. Man fragt: Was? Jetzt noch? Seid ihr dazu nicht schon zu alt?
Conrad Adenauer soll im Alter von 74 Jahren bei einer Sitzung als Antwort auf die Frage, ob er nicht langsam zu alt wäre, geantwortet haben:

"Meine Herren ich und alt? Ich kannte mal einen Maler, der wurde 109 Jahre alt, und ich meine Herren habe noch nicht angefangen zu malen."
.

Mit Malen habe ich schon vor einigen Jahren begonnen, aber ein richtiger Maler muss ich erst noch werden...


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Prignitzer43
Administrator

80, Männlich

Beiträge: 35

Re: Ich habs getan

von Prignitzer43 am 24.02.2009 04:09

Ich erschrak: Oh nein, bist du wahnsinnig? So etwas darf man doch nicht einmal denken- geschweige denn tun!


Ja, das ist die Hürde. Den Frauen höher, den Männern weniger hoch verordnet, aber letztlich uns allen eingetrichtert. "Das darst du nicht nur nicht tun, das darfst du gar nicht erst denken. Wer so was denkt, ist schon versucht. Und der nächste Schritt... wer weiß. Und wo kämen wir hin, wenn alle ausbrächen, ihren Platz nicht mehr einnähmen, auf den sie nun einmal gestellt sind?" - Oder wie meine Mutter immer zu sagen pflegte: "Jeder hat nun mal sein Päckchen zu tragen. Da wirst du doch deins wohl auch tragen können."

Tja, und was kommt dabei womöglich heraus? Ich habe das in einem Zweizeiler mal so formuliert, was dabei rauskommen kann, wenn man verharrt und verharrt, weil's alle von einem erwarten, oder man zumindest glaubt, dass es alle von einem erwarten:

Oft sich nach der Decke gestreckt
Auf deren Maß nun geschrumpft.


Und schrumpfen kann man unter Umständen bis zur Unkenntlichkeit, und diese Unkenntlichkeit bedeutet: Verkümmert sein. Oder: Die Flügel, die jeder mitgekriegt hat, solchermaßen gestutzt, dass man nicht einmal mehr flattern kann. Und dann ist nix mehr mit "Möwe", dem Sinnbild des Ausbrechens, des Aufbrechens, des Durchatmens und des Sich-in-die-Lüfte-Schwingens, von dem schon Tschechow in seinem gleichnamigen Stück, nämlich der "Möwe", erzählt, der wiederum in vielen Stücken, zum Beispiel in den "Drei Schwestern", verdeutlicht, wo der Mensch abbleibt, wenn ihm die Gabe, Möwe zu werden, verloren gegangen oder genommen worden ist. Und diese kleine Geschichte, auf die ich hier antworte, zeigt doch, dass es beleibe nicht den Kopf kosten muss, zu denken, was sich zu denken angeblich nicht schickt, und zu tun, wozu einen niemand ausdrücklich ermutigt hat; im Gegenteil. Womit ich jetzt nicht sagen will, dass es leicht wäre, sich auf den Weg zu machen, statt zu verharren. Aber letztlich muss man fürs Verharren den ungleich höheren Preis zahlen. Denn wer möchte am Ende seines Lebens frei nach einem Aphorismus von Stanislaw Jerzy Lec von sich schon sagen müssen: Dass ich sterbe, ist noch kein Beweis, dass ich gelebt habe.

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Bettina

64, Weiblich

Beiträge: 23

Re: Ich habs getan

von Bettina am 25.02.2009 21:41

Taucht da plötzlich so eine Geschichte auf meinem Bildschirm auf, verlangt gelesen zu werden, rüttelt mich ein bisschen und sagt:
He, schlaf nicht ein! Begreifst du denn nicht: du kannst alles an deinem Leben in Frage stellen. Musst du sogar. Und zwar immer wieder. Oder willst du vielleicht stumpf, bequem und stinklangweilig werden? Unzufrieden womöglich und für deine Umgebung unausstehlich?
Was? Nein, will ich natürlich nicht, aber...
Na, dann nimm deine paar Sinne gefälligst zusammen. Sei achtsam, neugierig und...
Ach, hör schon auf. Du bist eine Geschichte, stehst auf dem Papier, oder meinetwegen auf dem Bildschirm. Hast gut reden, theoretisch weiß ich das doch alles alleine.
Aber in der Praxis, wie sieht es da aus, hm?
Bin ich feige. Manchmal jedenfalls. Und ich ärgere mich hier und da über mich selbst. Wenn ich genau weiß, es ist mal wieder schief gelaufen, ich habe meinen Mund zur rechten Zeit nicht aufbekommen, nix gesagt, wo ich es hätte tun müssen, mich überfahren lassen, wo ich hätte einschreiten müssen und, und und. Sich selbst treu zu sein und sich nicht unterkriegen zu lassen ist schwer, ist dir das eigentlich klar?
Na ja, da will ich dir mal einen Satz zu bedenken geben: Das Schlachtvieh bekommt den Schlächter, den es verdient.
Also jetzt dramatisierst du aber. Obwohl, in der Konsequenz hast du wohl recht... Es kann sehr gefährlich werden, aus Feigheit mitzutrotten...
Na siehste, du weißt es doch. Findest du nicht, dass du geradezu verpflichtet bist, dein Rückgrat zu trainieren? Dir selbst geht es besser, wenn du tust, wovon du wirklich überzeugt bist. Den Menschen in deinem Umfeld oft auch.
Pass mal auf, es ist ja nicht so, dass ich mich immer und überall klein mache und unterordne. Manches gelingt mir und manches eben nicht. Aber wenn mir etwas gelingt, zum Beispiel nein zu sagen, wenn ich nein meine oder jemandem meine Meinung zu sagen, dann bin ich hinterher erleichtert und froh. Oder wenn ich mir überlege, ob ich mich hier einspannen lassen muss, dies oder jenes zu tun wirklich nötig ist und ich zu dem Schluss komme, NEIN, jetzt gehe ich in die Sonne oder lese das Buch, was mir unter den Nägeln brennt (nur so zum Beispiel), dann habe ich schon etwas für mich erreicht. Gelingt aber eben nicht immer.
Wollte doch auch nicht behaupten, dass du gleich dein ganzes Leben umkrempeln musst. Der Teufel steckt im Detail, meine Liebe, was in dir so drinsteckt schleppst du ja doch wieder überall mit hin.
Je nachdem, ein Riesenschritt in eine völlig neue Richtung, alles auf den Kopf stellen, das kann ja auch manchmal eine heilsame Chance sein.
Alles, was du willst und vermagst: ...sich wandeln dürfen, unlogisch handeln dürfen... hat André Heller vor vielen Jahren mal gesungen. Ich wollte dir doch nur ein bischen Mut machen. In die Hand nehmen musst du dein Leben ja wohl selber.
Ist klar. Ich werde den Kopf schon oben behalten, auch wenn der Hals mal dreckig ist.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 26.02.2009 21:25.

Herbstfrau
Gelöschter Benutzer

Re: Ich habs getan

von Herbstfrau am 08.03.2009 13:30

Liebe Bettina, deine Zwiesprache mit dir selbst gefällt mir. Du hast es auf den Punkt gebracht: Auf die innere Stimme möchte man (manchmal ) nicht hören. Die ist so unbequem, die will etwas von uns. Die will, dass wir in uns gehen, unsere geheimen Wünsche herauslassen, uns ändern! Ändern?

Aber: Es lohnt sich allemal

Ein ganz lieber Gruß an dich!

Regina

Antworten Zuletzt bearbeitet am 08.03.2009 13:31.

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