Toleranz - vielleicht ein Spiegel

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Esther
Gelöschter Benutzer

Toleranz - vielleicht ein Spiegel

von Esther am 14.03.2009 15:06

Ja, was ist Toleranz? Für mich ein schier unerschöpfliches Thema, nicht abzuhandeln mit ein paar Gedanken oder ein paar Sätzen. Ich denke, es gibt erstmal eine allgemeine Toleranz - zum großen Teil geprägt aus Gesellschaft, Familie, sozialen Gegebenheiten, auch als Stempel des Staatsgefüges, in dem man sich befindet. Und es gibt zum zweiten eine sehr persönliche Toleranz - die aus der Basis der allgemeinen Toleranz schöpft, sich aber vordergründig aus persönlichen Erlebnissen manifestiert und vor allem aus der persönlichen Reife (oder Nicht-Reife) eines Menschen entsteht.
Ich will aber nicht zu sehr auf die Analyse des Begriffs Toleranz eingehen, sondern zu den beiden geschilderten Toleranzfragen kommen, die für mich aufzeigen, wie weit gefächert und vielfältig die Toleranzpalette sein kann.

Marion vermisst Toleranz gegenüber dem Kranksein. Ich denke, man könnte hierzu auch sagen: dem Anderssein, dem Aussergewöhnlichen, dem nicht (oder nicht mehr) der Gewohnheit Entsprechenden. In diese Kategorie fällt ein großer Teil dessen, was uns überhaupt mit dem Begriff Toleranz verbindet. Was ist - wann, wo, wie - passend oder unpassend für den kleinen oder größeren Kreis, in dem der Toleranz gegenüber anderen Individuen Platz eingeräumt wird? Warum verunsichern Menschen, wenn sie sich nicht in die vorgegebene, im Gehirn gespeicherte Form einfügen? Denn Intoleranz gegenüber dem Anderssein kann nur aus Verunsicherung, auch aus einem Sich-Verstecken entstehen. Man ist nicht manns- oder weibs-genug, sich über das Fremde, das Unbekannte, informieren zu wollen, geradeaus darauf zuzugehen - man zieht den Kopf ein und entscheidet vorsichtshalber dagegen. Ein Spiegel des eigenen Unvermögens.
Und doch denke ich auch, dass in allen Fällen Toleranz keine einseitige Angelegenheit ist. Auch der, der sie vom Anderen einfordert, muss etwas dazu geben. Natürlich ist jeder Fall für sich individuell. Doch es bedarf ganz sicher auch einer Öffnung dessen Menschen, der eben "anders" ist - einer pragmatischen Öffnung, die nicht unbedingt darauf abzielt, dieses Anderssein ausschließlich emotional beweisen und begründen zu wollen. Ich glaube, man muss mit der Situation, die einem das Leben in eine aus der Norm fallende Richtung gewiesen hat, in Einklang gekommen sein. Wenn man sie in Demut zu sich selber und im Selbstbewusstsein gegenüber jedem Anderen angenommen hat und nicht mehr mit den Pfründen der Vergangenheit hadert, kann man mit Jedem, der es einem wert erscheint, in ein offenes Gespräch eintreten und man hat selber große Macht, die Toleranzgrenzen in einzelnen Köpfen zu erweitern.

Was Kirsten anspricht, ist für mich eher in eine gewisse Erträglichkeits-Toleranz einzuordnen, der jeder Mensch in seinem persönlichen Umfeld mehr oder weniger ausgesetzt ist. Und hier wiederum meine ich, dass die Toleranz schon gewisser Grenzen bedarf - denn wenn man diese nicht setzt, weiss man selber nicht genau, wo man steht. Für mich persönlich ist es eben eine Frage, ob man aufgrund gewisser Kenntnisse über einen Menschen dessen Verhalten (das im Grunde egoistisch und gesellschaftsschädigend ist) entschuldigen kann. Ich glaube, ich würde es nicht tun. Für mich hat das etwas Erpresserisches, das aber der "Erpresste" in sein eigenes Gehirn projiziert hat. Jeder Mensch - egal, was er einmal geleistet hat oder nicht - muss eine veränderte Lebenssituation akzeptieren und sie leben. Er hat nicht das Recht, einen persönlichen Verlust durch Tyrannei anderer Personen zu kompensieren. Siehe "Toleranz". Die von Kirsten geschilderte Person zeigt für mich keine Toleranz gegenüber ihren unmittelbaren Nachbarn.

Vielleicht ist die eigene Toleranz gegenüber Anderen genauso wie die Toleranz, die man für sich selber einfordert, in gewissem Maße doch ein Spiegel des eigenen Ichs - um es mal ganz verkürzt zu sagen.

In diesem Sinne freue ich mich auf weitere Beiträge!
Herzlich,
Esther

Antworten Zuletzt bearbeitet am 14.03.2009 17:12.

Hans

74, Männlich

Beiträge: 14

Re: Toleranz - vielleicht ein Spiegel

von Hans am 20.03.2009 13:21

Hast wieder tief geschürft, Esther, Kompliment:-)

Ja, die Sache mit dem Spiegel :D In der härtesten Variante der Eulenspiegel, der die Grenzen unserer Toleranz gar schmerzhaft testen kann und uns zwingt, sie von Gleichgültigkeit zu unterscheiden. Projektion ist in diesem Zusammenhang auch ein gehaltvoller Begriff.

Toleranz ohne eigenen Standpunkt ist Beliebigkeit, scheinbar bequem für alle Beteiligten, aber aus meiner Sicht Missachtung der Mitmenschen und der eigenen Person. Der Begriff gewinnt für mich an Schärfe, wenn ich ihn ins Spannungsfeld von Feigheit und Selbsterkenntnis setze. Dann fällt es mir leichter zu entscheiden, ob ich in einem konkreten Fall tolerant sein sollte.

Die Formulierung "sein sollte" weist darauf hin, dass es sich um ein ethisches Problem handelt: Was sollen wir tun, wie sollen wir uns verhalten, wie wäre es richtig? Die populärste Unterscheidung ist wohl die von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, wobei ich mich nie wirklich für eine Variante entscheiden konnte.

Um es für mich handhabbar zu machen, probiere ich es einfach so:

1. Den Menschen (oder das Problem) so gut wie mir möglich verstehen.
2. So gut ich kann rausfinden, warum ich darauf in einer bestimmten Weise reagiere (oder es überhaupt bemerke).
3. Entscheiden, ob das Problem objektiv besteht oder ob ich nur grade mal wieder blöd bin.
4. Besteht es objektiv, Kosten und Nutzen möglicher eigener Reaktionen abwägen: Das ist letztlich kein rationaler Vorgang, sondern eine Bauchentscheidung. Ist es mir die Zeit wert? Was will ich bewirken? Macht es Spaß, oder ist es aus meiner Sicht einfach nur notwendig? Diese Liste der möglichen Fragen ist *nicht* vollständig ;-)
5. Nicht vergessen, dass ich mein Urteil revidieren können muss...

Ist vielleicht nicht optimal, aber für mich einleuchtender als der Versuch, die Welt einzuparfümieren :evil::D



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Kirsten

59, Weiblich

Beiträge: 54

Re: Toleranz - vielleicht ein Spiegel

von Kirsten am 20.03.2009 15:02

Cool, Hans!

Das gefällt mir, macht wieder ein bisschen mehr Luft und Ordnung in meine Gedanken. Klasse!

Zu deinem Punkt 1 fällt mir spontan noch was ein: Empathie. Das heißt, möglichst gut zu kapieren, wie das Thema/das Problem sich für den Anderen anfühlt, wie es durch seine Augen aussieht. Das können wir nicht wirklich, wir können es nur versuchen. Wir schleppen ja immer unsere eigenen Werte, Normen, Einstellungen mit uns herum und das ist auch gut so...aber es hilft, zu versuchen, das alles mal außen vor zu lassen und durch fremde Augen zu sehen. Nicht, um sich brav an die Meinung des Anderen anzupassen, sondern nur, um ein bisschen nachzuvollziehen, warum es für ihn so und nicht anders ist. Wenn ich dann das "Bild" des Anderen und meines übereinander lege (oder besser nebeneinander), dann habe ich schon mal zwei von unendlich vielen möglichen Bildern derselben Sache. Das ist vielleicht ein Schritt in die Richtung "Toleranz".

Lieben Gruß

Kirsten

Doch wenn ich vor der Dummheit die Augen verschlösse, wäre ich mit dafür verantwortlich, dass sie ins Kraut schießt.
Die wuchert nämlich schon beim Hingucken, aber was glaubt Ihr, wie die wuchert, wenn Ihr wegguckt
(Hermann Prignitzer)

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Hans

74, Männlich

Beiträge: 14

Re: Toleranz - vielleicht ein Spiegel

von Hans am 20.03.2009 20:56

Ja, Kirsten, Übereinstimmung :-)

Wobei es so aussieht, als hätten Frauen zumindest statistisch in Sachen Empathie einen Vorsprung :#:

Die beiden Bilder nebeneinander bilden dann die Ausgangsposition und ich hab ne bessere Chance, nicht in meine eigenen psychischen Fallen zu tappen (Projektion).

Geht trotzdem manchmal schief :D

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