Vorurteile gegenüber einer Kranken....

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Zartbitter
Gelöschter Benutzer

Vorurteile gegenüber einer Kranken....

von Zartbitter am 13.03.2009 17:16

....oder Toleranz gegenüber Veränderungen.

Ich muss gestehen, dass ich mir nicht wirklich sicher bin, wie ich diesen Eintrag betiteln sollte.
Ich will Euch an dieser Stelle erzählen, erzählen von eigenen Erlebnissen mit anderen Menschen in einer Ausnahmesituation.

Kurz zu meiner Person – damals. Ich war 36 Jahre alt, hatte zwei Kinder im Teenie Alter, lebte mit ihnen alleine und hatte einen Beruf als Arzthelferin in Vollzeit.
Meine knapp bemessene Freizeit verbrachte ich mit Freunden, wir besuchten gern Konzerte, machten gemeinsame Ausflüge, gingen Essen oder machten ein geselliges Wochenende alle gemeinsam mit unseren Kindern zusammen.
Außerdem engagierte ich mich bei beiden Kindern sehr in der Elternarbeit in den jeweiligen Schulen, wie auch in den Sportvereinen und Musikgruppen.
Für mich ganz allein nahm ich an diversen Kursen wie Tanzen, autogenes Training und ähnlichem teil.
Ich war zu der Zeit eine Frau, die eigentlich nie wirklich zur Ruhe kam, ich brauchte auch immer Wirbel um mich herum.
Über meinen Beruf habe ich von Anfang an folgendes gesagt:
Das ist nicht nur mein Beruf, sondern viel mehr. Es ist meine Berufung!
Meine Arbeitszeit war eigentlich mehr als Vollzeit, denn die Überstunden waren enorm, genauso wie die Wochenenddienste und die gesamte Situation für mich als Erstkraft in dieser Praxis. Mein Ehrgeiz, alles bestens zu machen, war nicht mehr zu steigern. Ich hatte an einer Zusatzausbildung teilgenommen und konnte in der Praxis Kurse für Diabetiker abhalten, zusätzlich zur normalen Arbeitszeit versteht sich.
Wer mich um Hilfe bat, dem versuchte ich zu helfen und bei dem ich Probleme sah, dem bot ich mich an. Und das natürlich nicht nur in meinem beruflichen Umfeld.

Kurzum, ich war als eine selbstständige und selbstbewusste Frau bekannt, die gern zur Hilfe bereit stand und wenn es auch nur um einen Ratschlag ging.

Im Jahr 1996 bekam ich aus heiterem Himmel eine Hirnblutung, es folgten zwei Kopf-Operationen. Das es eine äusserst schwere Zeit war, brauche ich eigentlich nicht extra zu erwähnen, oder..?
Es dauerte Wochen, nein Monate bis ich halbwegs wieder so war wie zuvor.
Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, was ich hatte und was geschehen war.
Die Zeit der Rekonvaleszenz dauerte mehrere Monate, ich machte Fehler und war in der ersten Zeit geistig nicht gerade flexibel. Eher sehr behäbig und schwer im Begreifen.
Warum ich all dieses hier schreibe? Nun, ich habe folgendes bemerkt: die Menschen, egal ob mir nahestehend, im Beruf oder flüchtige Bekannte gingen mit mir anders um.
Sie behandelten mich, als sei ich plötzlich eine andere.
Meine Kinder verheimlichten mir Dinge, mein damaliger Freund fragte mich bei jeder Gelegenheit, ob mir das nicht zuviel wird und auch in der Praxis wurden mir Aufgaben aus der Hand genommen, ohne das ich gefragt wurde.
Bei anderen, die mich nur flüchtig kannten, waren die prüfenden Blicke zu spüren.
Ich fühlte mich zeitweise wie eine Aussätzige, ohne eigenen Willen und meine Meinung interessierte plötzlich auch niemanden mehr.
Warum werden kranke Menschen so anders behandelt?

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Bettina

64, Weiblich

Beiträge: 23

Re: Vorurteile gegenüber einer Kranken....

von Bettina am 14.03.2009 19:23

Liebe Marion, Du fragst, warum kranke Menschen plötzlich anders behandelt werden. Und ich habe mich beim Lesen des von Dir Geschilderten gefragt, wie hätte ich mich wohl verhalten? Angenommen, ich wäre vor und nach Deiner Erkrankung eine Kollegin von Dir gewesen, hätte ich warscheinlich auch versucht, besonders auf Dich zu achten, Dir vielleicht auch etwas abzunehmen, wo es möglich ist, vielleicht auch ohne Dich zu fragen, möglichst unbemerkt. Und damit hätte ich dann, wenn ich Dich richtig verstehe, schon alles falsch gemacht.
Du schreibst, dass Du über viele Wochen und Monate nicht dieselbe warst wie vor der Erkrankung, erzählst von der erst nach und nach wieder entstehenden geistigen Beweglichkeit. Den Menschen in Deinem Umfeld ist die Veränderung ja auch nicht entgangen. Vermutlich verhielten sie sich Dir gegenüber anders als vor Deiner Erkrankung, weil sie auf Dich achten und Dir helfen wollten, solange Deine Kraft noch nicht wieder die alte war. Und Du fühltest Dich, wenn ich Dich richtig verstanden habe, dadurch ausgegrenzt.
Wenn Dein damaliger Partner Dich gefragt hat, ob Dir dieses oder jenes auch wirklich nicht zuviel wird, wenn Deine Kinder Dich mit ihren Problemen lieber nicht behelligen wollten, dann geschah das ja warscheinlich in guter Absicht. Und auch aus der Verunsicherung heraus, was können wir ihr nun zumuten, was lieber nicht. Unsicherheit spielt bestimmt eine große Rolle, wenn wir uns nicht so verhalten, wie es gerade gut und hilfreich wäre.
Aber womöglich entstand auch in Dir selbst eine Verunsicherung dadurch, dass vieles nicht mehr so ging, wie vor der Erkrankung und hat Deinen Blick auf die Menschen, mit denen Du zu tun hattest, verändert?
Sehr gern möchte ich von Dir wissen, liebe Marion, welches Verhalten Du Dir von den Menschen in Deinem Umfeld damals gewünscht hättest. Was wäre richtig und nötig für Dich gewesen? Hätten sie Dich einfach fragen sollen? Ignoranz aller Veränderungen wäre ja wohl auch kein Weg gewesen, oder? Hast Du versucht, darüber zu reden, was für Dich gut wäre, was Du für falsch oder unnötig hälst?
Bitte verzeih mir meine ungeschickten Fragen, aber ich möchte es wirklich wissen. Jede und jeder von uns kann unvorbereitet mit einer ähnlichen Situation konfrontiert werden. Vielleicht kannst Du mir helfen, etwas zu lernen. Herzliche Grüße von Bettina.

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Zartbitter
Gelöschter Benutzer

Re: Vorurteile gegenüber einer Kranken....

von Zartbitter am 15.03.2009 12:23

Liebe Bettina,

es ist sicher schwierig in so einer Situation mit einem Menschen richtig umzugehen.
Für mich selber war es ja auch schwer die Veränderungen zu erkennen , zu verstehen und vor allem anzunehmen.
Als Kollegin hätte ich mich wahrscheinlich ähnlich verhalten, gewisse Dinge abgenommen. Aber das ohne vorher zu fragen?
Weißt Du, manches Mal kam es mir vor, als hielten mich einige Menschen für geistig verwirrt oder gar behindert.
Wenn Dir kaum jemand etwas zutraut oder Dir Verantwortung überlässt, was vorher alles selbstverständlich war.
Meine eigene Verunsicherung enstand ganz klar durch die Tatsache, dass ich mir eingestehen musste einiges, vieles nicht mehr zu können wie zuvor.

Was ich mir gewünscht hätte...?

Normalität, ich war die gleiche Frau, der gleiche Mensch. Ich hatte eine schwere Erkrankung und wollte ganz normal leben so wie es immer war, vorher.
Sicher auch zuviel verlangt, denn es mussten auch Veränderungen sein, aber doch bitteschön von mir und vor allem von mir entschieden.
Es ist das schlimmste, einem Menschen etwas ungefragt aus der Hand zu nehmen.
Ein Beispiel: Beim Arzt wollte eine Frau einem älteren Mann, sichtbar re.-seitig gelähmt in den Mantel helfen. Er schütteltsich, wurde unwirsch, fast schon verärgert. Er wollte es alleine machen, dauerte es auch noch solang....

Ich habe auch Gespräche geführt, mit den Menschen die mir wichtig sind.

Und eines noch, dass es die meisten wirklich und von Herzen gut meinten weiß ich.

Liebe Grüße
Marion

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